logblog – donaufahrt von melk ans schwarze meer – pt. II: budapest-belgrad

22/23.Juni

 

unsere erste regenfahrt. rainer am steuerstand, ich unterm daunenschlafsack, nachdem ich vorher selbst das schiff gesteuert habe und da oben fast abgefroren bin und ich mir beim nächsten mal doch das ölzeug überstülpen werde. bis gestern war das wetter weiter gut zu uns, gestern nacht ging genau über uns ein gewitter nieder, neben uns hat der blitz eingeschlagen, wir lagen aber gut vertaut im hafen von paks.

 

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vorgestern hatten wir eine prächtige fahrt durch das stadtzentrum von budapest, vorbei am parlament und der burg. das wasser war sehr unruhig wegen der vielen schiffe und des windes. auch nach budapest bleibt die donau sehr unruhig und wird erst am späten nachmittag zahm. abends eine wunderschöne sonnenuntergangsfahrt, am ufer angler, es wird gegrillt, rauch zieht waagrecht über die donau, beirut im knopfkopfhörer steuere ich das boot über grünes wasser dem schwarzen meer entgegen. in dunaujvaros fahren wir im letzten licht des tages in den industriehafen ein an mächtigen kränen vorbei und wollen am steg einer kleinen marina anlegen, doch irgendeine aufpasserfrau entdeckt unsere lichter und und will uns nicht da haben, wir streiten eine stunde in zwei verschiedenen sprachen. zwei junge männer, die gerade anlegen, müssen übersetzen, wir versuchen stur zu bleiben doch die frau bleibst sturer. wenn wind komme, könnte der steg abtreiben oder so ein unsinn. es ist mittlerweile stockdunkel, wir haben kein ausreichendes licht, um durch die untiefen hier wieder raus zu kommen, also müssen wir am gegenüberliegenden ufer an einem baum festmachen, was aber funktioniert, da es in der bucht keinen wellenschlag gibt. des nachts tragen wir unsere fahrräder über geleise, gelangen an die straße und versuchen irgendwo noch etwas zu essen aufzutreiben, landen schließlich im vorort von dunaujvaros beim einem mcdrive. nachts nur ferne geräusche vom hafen, eine lokomotive fährt vorbei.

 

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am nächsten tag verbringen wir den mittag in dunaföldvar, einem gemütlichen kleinen städtchen, arbeiten im eisacafe am hauptplatz in unsere computer hinein. am nachmittag fahrt durch menschenleere gegenden. man kann nicht sagen, dass europa überbevölkert ist. soviel einsamkeit. und überall intakte natur, auwälder, sandstrände. umweltprobleme scheint es nicht zu geben. keine spuren der menschheit. man könnte meinen, man sei in der wildnis und immer wieder gibt es ein paar eingeborene, die angeln und uns zuwinken. der mensch ein kleine untergeordnete gattung auf unserem planeten, harmlos, und kaum sichtbar. wir entdecken wieder eine langgestreckte wunderschöne sandinsel. ich gehe baden, rainer macht kunstvideos mit unserem krokodil und lässt es am wasser entlangtanzen. ich sehe von der ferne zu, beobachte rieeige muscheln, die eine sandspur durch den flußboden ziehen, spiegelklares wasser. nachtmittagssonne. abends in paks viel rosé, alles wetterfestmachen und krachendes gewitter.

 

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24/25. juni

 

in der früh hole ich brötchen beim bäcker. ich mag es mit dem fahrrad durch diese kleinen ungarischen städte zu fahren, und das treiben am morgen zu beobachten, unauffällig wie ein unsichtbarer beobachter. alte männer, die einkäufe tragen, frauen, die zusammen stehen und ein schwätzchen halten, bauarbeiter, die noch nicht bauen, mädchen, die am fluß sitzen und auf etwas warten. kleine heile welt. der morgen ist hier unschuldiger als anderswo.

 

nach der regenfahrt kommen wir nachmittags nach baja. ein langgestreckter kanal führt direkt in die stadt. am ufer überall menschen, die uns zuwinken. abends sitzen wir mit jugendlichen aus der stadt auf deck, trinken wein und reden über das system orban, das sie nur als mafia bezeichnen. alles gehöre orbans freunden oder werde ihnen zugeschanzt. zigaretten darf man nur noch in bestimmten deklarierten läden kaufen, die alle orban gehörten. mit dem land gehe es bergab, die gipsys sind aggressiv, ungarn war mal viel größer, wer sich politisch betätigt landet im gefängnis. die vermutung, dass die jugendlichen nationalistisch infiltiriert sind, verstärkt sich am nächsten tag. nachdem es die ganze zeit geregnet hat, treffen wir die jugendlichen nach dem abendessen. sie empfangen uns mit selbstgebranntem schnaps und wein und führen uns dann in ein lokal, mit doppelt versperrten türen, das man nur mit gesichtskontrolle betreten darf. es heißt viking club und die ahnungen scheinen sich zu bestätigen. aber nichts ist hier eindeutig. genauso sind hier punks, die rammstein hören, und linke dreadlock-ziegenbärtchen-typen, emo-mangafetischisten mit hang zu darkcore. hier gibt es wohl keine berührungsangst zwischen rechts und links.es ist ein sammelbecken derer, die sich ausgeschlossen fühlen.  ich versuche ihre nationalen argumente zu entkräften, sie stimmen mir immer sofort zu um dann den nächsten blöden spruch zu liefern („ungarn ist das einzige land der der welt, das nur an ungarn grenzt“). wir fühlen uns unwohl, verabschieden uns bald.

 

als ich am nächsten morgen durch die vororte der stadt radle, wird mir klar, wie arm dieses land eigentlich ist. über die hälfte der straßen sind nicht asphaltiert, man fährt durch große arme-leute-siedlungen, teilweise sieht es hier aus in wie in kasachstan. mir wird klar, dass sich das system einer armen mehrheit und einer kleine reichen elite, die sich durch ein repressives system absichert, gut in die EU integrieren lässt. geld für die autobahnen und die stadtzentren, geht man dreimal um die ecke sieht man  große armut 4 autostunden von wien entfernt. man hat das gefühl das ganze land steht unter wasser, eine abgestumpfte gesellschaft, man spürt allerorten hoffnungslosigkeit, zaghaftigkeit. die harmlosigkeit dieser welt hier ist vor allem ein rückzug aus der zukunft. einer der jugendlichen hat uns vorgestern gezeigt, wo das hochwasser letztes jahr stand. so hoch wie noch nie. die halbe stadt, die insel unter wasser. damals haben sie alle geholfen, aber unter polizeischutz wegen der politschen spannungen.

 

heute wieder sonne, die fahrt geht weiter zur serbisch-kroatischen grenze.

 

26/27. Juni

 

serbia! hier weht ein anderer wind. ungarn ist anscheinend wirklich ein vakuumverpacktes land, der unterscheid macht das klar. den hier in serbia sind die menschen gleich viel offener, witziger, selbstbewusster, man kann sofort herumscherzen, sich gegenseitig verarschen, es gibt nicht mehr dieses schüchterne untertänige getue der menschen. das essen ist fetter. die frauen selbstbewusster. auch passiert viel mehr auf der donau. überall fischer, sonnenbadende auf sandbänken, sonnenschirme überall am ufer. zumindest in der nähe der städte und dörferabseits davon sind auch hier strände menschenleer und naturbelassen. die donau fließt auch hier völlig unreguliert, doch im gegensatz zur puszta wo sie breit und langsam dahin fließt, schlängelt sie sich die kroatisch serbische grenze entlang. hier sieht man ständig riesige große silberreiher, schwarzestörche und am himmel kreisen die seeadler. manchmal ist die donau ganz schmal wie ein junger fluss, schmäler als in linz etwa. dann wir sie weit, ist wie ein ruhig liegender see und man glaubt sich abgeschlossen von der welt, , wie auf einem einsamen waldsee, nicht verbunden durch den strom, strömung und schiffahrt. der fluss hat viele gesichter.

 

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vorgestern nach einer kunstaktion mit einem rostigen kahn in baja fahrt zu dritt ­– georg russegger, der projektbetreuer des MS Cargo projekts ist für zwei tage dabei – nach mohacs, der grenzstadt zu serbien und koratien, wo wir bei bela am ponton anlegen. kaum betritt man das festland, ziehen sie schon über orban und die mafia her. ich frage mich, wer den hier eigentlich gewählt hat. am nächsten morgen nach erledigung der ausreisemodalitäten frühe fahrt über die grenze, einreisemodalitäten nach serbien in einer völlig runtergeschusterten grenzstation im nirgendwo, mit lebensgefährlich schwebenden metalltreppen ans festland, mit kettenrauchenden serbischen kapitanos, grimmiger polizei, und freundlichen dreadlockhaarigen kassierern, die einen liebevoll siebzig euro abknöpfen, während man auf die europakarte an der wand blickt und vergeblich montenegro und kosovo als eigene staaten sucht. nachdem wir beim ablegen noch einem typen, der der ganze zeit kohle fürs anlegen von uns haben wollte und zum schluss nur noch bier haben wollte, eine dose zugeworfen haben, geht es weiter die serbisch krotische grenze entlang. an einem weißen sandstrand legen wir an, rainer kocht spaghetti amatricana, bastelt mit georg am boot, ich liege in der sonne, später nur noch im schatten, weil es immer heißer und heißer wird. abends legen wir in apatin an.

 

28/29.  Juni

 

Yugoslavia!

 

AUA. scheiß kater. man muss so trinkfest sein am balkan. was ist denn da passiert gestern. wir waren in vukovar. im grenzgebiet. was für ein unsinn. grenzgebiet. vor über zwanzig jahren gabs hier noch gar keine grenze. und jetzt muss man sich eindeklarieren, ausdeklarieren, stempel da, stempel dort, erklärung für den arzt. was für unsinn.jeder hält es für unsinn aber alle führen es aus. weil die politik den nationalismus für sich genutzt hat und jetzt überall kleine nationalstaaten sind, die keiner haben will und trotzdem ist man darauf stolz. dieser nationalismus! es ist das dümmste und unnützeste, das die menschheit hervorgebracht hat. wenn man hier durch diese grenzgebiete fährt, hört man nur geschichten von vertreibung und entwurzelung, keiner wohnt mehr da wo er gewohnt hat, jeder hat teile der familie im krieg verloren. und was hat man davon?  ist man glücklicher, wenn ungarn zu großungarn wird. kann man sich dann mehr brot kaufen, oder eine yacht, sind die menschen weiser, wenn es statt jugoslawien viele kleine staaten gibt. worin liegt der fortschritt, wenn man sich von den anderen abgrenzt, die in ihrer sprache ein paar lautverschiebungen zur eigenen haben, links rum statt rechts rum tanzen und orthodox sind statt katholisch?

 

in dalj rede ich mit einem kroatischen restaurantbesitzer, der 91 mit der famile von serben vertrieben wurde und lange zeit im burgenland gelebt hat. vor ein paar jahren ist er zurückgekehrt und hat gerade ein restaurant mit hotelbungalows eröffnet. früher bestand der ort jeweils zur hälfte aus serben und kroaten.  dann wurden alle kroaten vertrieben oder umgebracht, nur die alten durften bleiben aber wurden auch schikaniert. jetzt kehren mehr und mehr kroaten zurück. der boden war nach der rückgabe der besetzten gebiete an kroatien günstig zu haben, deshalb konnte er sich das große grundstück leisten. er erzählte mir, dass hier normalerweise kroaten und serben in getrennte kneipen gehen, bei seinem eröffnungsfest feierten beide volksgruppen zum ersten mal gemeinsam. wie sie es früher eigentlich immer gemacht haben.

 

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vukokovar ist zu großen teilen wieder hergerichtet, aber trotzdem gibt es noch immer ganze zerschossene und zerstörte häuserzeilen und allerorten baulücken, wo zerstörte häuser standen. auch wenn die ruinen mit planen zugedeckt sind oder blumenkistchen in den schwarzen fensterhöhlen hängen, hat man noch immer das gefühl, geruch von verbranntem zu riechen. beklommen geht man durch die gassen, und hört die schüsse, die die einschusslöcher überall hinterlassen haben. nachmittags findet ein festival mit trachten und volkstänzen in den straßen statt.

 

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saturday night in vukovar.  in einer bar neben einem zerschossenen haus spielt sich das nachtleben der stadt ab. laute musik dröhnt durch die straßen. gibt es hier keine nachbarn? motorradgangs rasen durch die staßen, lange beinkleidung ist bei frauen ein tabu. aufgepumpte männer wo man hinschaut. irgendwann liege ich im bett auf unserem boot, das wir am polizeischiff im hafen festgemacht haben. von allen seiten ist laute musik zu hören und hallt im hafenbecken gespenstisch wieder. in der ferne steht stumm der zerschossene wasserturm von vukovar und blickt über die donau auf die andere seite, die jetzt zu einem anderen land gehört.

 

am nächsten nachmittag werden wir von einem mann mit zahnlücke und rundem bauch bei der vorbeifahrt laut schreiend zum spanferkelessen und der geburtstagsfeier des sohnes eingeladen. serbien liegt mittlerweile auf beiden flussseiten. unsere gastgeber füllen uns schon am nachmittag mit bier ab und zerlegen das spanferkel. mile erzählt, sie seien bosnische serben, die jetzt auf der anderen flussseite in serbien in celarevo wohnen. der vater sei in den kämpfen bei vukovar gefallen. er hat bosnische, kroatische freunde, hat früher friedlich mit ihnen gelebt.  er findet den ganzen krieg völligen unsinn. wie alle hier. gleich darauf posieren seine besoffen kumpels, die mit am tisch sitzen, mit dem tschetnikgruß für ein foto und lassen serbien hoch leben. wir verabschieden uns bald.

 

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und gestern nacht novi sad. mit milan und boki, einem theaterproduzenten und einem bildenen künstler. sie zeigen mir das nachtleben, am schluss singen und tanzen wir zu musik aus der vergangenheit, aus yugoslvia. „ das lied ist aus sarajevo“, sagen sie stolz, „das ist ein kroatisches!“ irgendwann ist mein telefon weg, mein kumpel findet es später unter einem tisch. ich werde auf alles eingeladen. selbst wenn ich jemanden einlade, werde ich darauf eingeladen. eine frau bestellt bei der liveband als willkommensgruß für mich englishman in new york. wir singen lauthals mit: austrian in novi sad.