Der Tod is nicht systemrelevant.

 

Von Volker Schmidt

 

Die Auseinandersetzung mit dem Tod ist in unserer Erfolgs- und Leistungsgesellschaft schon zu einem subversiven Akt geworden. So gesehen ist klar, worin die politische Brisanz des Coronavirus liegt: Die Menschen könnten begreifen, dass man Sterblichkeit nicht wegkonsumieren kann.

 

(Erstdruck im SPECTRUM, Beilage der Tageszeitung DIE PRESSE am 11.7.2020. Ungekürzte Fassung.)

 

Was ist denn da in den letzten Monaten passiert? Wir blicken uns erschrocken um, wenn die Polizei kommt und überlegen, ob wir gerade irgendetwas Unerlaubtes tun. In Gesprächen mit Unbekannten tasten wir uns erst vorsichtig vor, um herauszufinden, wie der andere den zu der Sache steht, bevor wir es wagen, freimütig unsere Meinung zu äußern. Journalisten*innen hören auf, politische Entscheidungen zu hinterfragen und schreiben, was die Regierung wünscht. Intellektuelle und Künstler*innen schweigen, wenn unsere Grundrechte eingeschränkt werden. Überforderte Eltern wagen es nicht, ihre Kinder in den Kindergarten zu geben, obwohl sie das Recht hätten, doch plötzlich ist es sozial erwünschter, das Kind stundenlang vor dem Fernseher zu parken als mit anderen Kindern spielen zu lassen.

 

Durch die Corona-Krise hat sich das Koordinatensystem unserer Lebensweise fundamental verschoben. Angst und Verunsicherung, was denn eigentlich richtig ist und was falsch, sind exponentiell gewachsen. Doch die Erschütterung durch die Corona-Krise ist noch viel umfassenderer und grundlegender. Sie stellt unser Selbstbild als Mensch und unsere Gesellschaft infrage. Uns beschleicht mehr und mehr das Gefühl, dass wir die ganze Zeit mit falschen Zahlen operiert haben, dass unser westlicher konsumorientierter Lebensstil vielleicht auf der Lüge basiert, dass man eine Variable aus der Lebensgleichung herausschummeln könnte: den Tod. Wie aber konnten wir ihn bisher überhaupt so erfolgreich verstecken?

 

Der outgesourcte Tod

 

Im Prinzip haben wir den Tod immer in Kauf genommen. Es gehört zum Leben an sich, dass wir ständig Leben gegen Tod, Risiko gegen Sicherheit abwägen. Wir würden sonst keinen Sport betreiben, nicht reisen, forschen, auf alle Abenteuer verzichten. Wir würden nur zu Hause sitzen. Der Grad an Kontrollierbarkeit des Lebens und unser Sicherheitsbedürfnis sind aber in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen. Als Kind saß ich bei meiner Mutter ohne Helm auf dem Mopedrücksitz, sie hatte natürlich auch keinen auf. Heute trägt meine Tochter schon beim Tretrollerfahren einen Helm. Es gab Zeiten, da wurde auch im Krankenhaus noch geraucht und den Gurt im Auto hat kaum jemand verwendet. Und das ist auch alle noch nicht so lange her.

 

Wir wollen zwar ein Leben ohne Tod führen, da das aber nicht möglich ist, leugnen wir ihn auf unterschiedliche Art. Zum einen haben wir ihn erfolgreich an die Ränder unseres Wahrnehmungshorizontes outgesourct. Unsere politische, ökonomische und kulturelle Alltagsstruktur baut auf einer systematischen Ungleichheit auf. Doch die ausbeuterischen, ökologisch und sozial zerstörerischen Produktionsbedingungen für unseren Lifestyle gibt es dort, wo wir es nicht merken: im globalen Süden außerhalb unserer Wohlstandsgesellschaften. Orte der politischen Instabilität mit mangelnder sozialer Absicherung und Gesundheitsversorgung werden als Teil unserer imperialen Lebensweise in Kauf genommen. Die damit einhergehenden Kriege, Hungersnöte und Epidemien sind zwar schrecklich aber sie finden zum Glück nicht bei uns statt. Dass die Folgen des Klimawandels die globale Ungleichheit und die Katastrophen um ein Vielfaches verstärken werden, wird bisher auch erfolgreich verdrängt.

 

Aber auch in unseren Breiten werden die Opfer unserer Lebensweise in Kauf genommen. Die Europäische Umweltagentur hat für 2016 in Europa hat rund 400.000 vorzeitige Todesfälle allein in der EU berechnet, die durch die Luftbelastung durch Feinstaub, Stickstoffdioxid und bodennahes Ozon ums Leben kamen. Das sind Alte und Menschen mit Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen, die früher sterben als sie müssten. Doch die fragwürdigen Verlockungen einer fossil betriebenen Mobilität haben uns dazu gebracht, einen stillschweigenden Pakt mit der Industrie und Politik zu schließen, diese Toten zusammen mit den Verkehrstoten, dem Lärm und der Platzverdrängung in den Städten einfach zu ignorieren. Erst in den letzten Jahren hat man durch Fahrverbote in Städten angefangen, bei der Feinstaubbelastung gegenzusteuern.

 

In der Corona-Krise gilt plötzlich eine ganz andere Gewichtung von Risiko und Sicherheit. Wie aus einem langen Dämmerschlaf erwachend, werden wir auf explizite Art auf die Konsequenzen unseres Verhaltens von Politik und Medien hingewiesen. Und zwar von jenen, die uns bisher eher ermuntert haben, das Leid anderer bereitwillig in Kauf zu nehmen. Und wir wissen nicht: War die Katastrophe die ganze Zeit schon da, und blicken nur plötzlich genau hin? Oder stehen wir tatsächlich vor einer einzigartigen Wendung in der Geschichte der Menschheit. Entlang dieser beiden Einschätzungen werden gerade Millionen Gigabyte Meinungen in Onlineforen hin und her geschoben. Diejenigen, die bisher eher gleichgültig den Alten und Gebrechlichen in unserer Gesellschaft gegenüberstanden, zählen nun jeden Tag die Toten und verurteilen alle, die Todeszahlen nicht zur alleinigen Maxime ihres Handelns machen.

 

Das Problem ist, dass diese Fragen niemals abschließend beantwortet werden können. Unsere Wahrnehmung von Tod ist immer selektiv. Ein Kind, das in einen Brunnenschacht gestürzt ist, wird medial mehr Aufmerksamkeit erlangen als die Tausenden von Toten des jahrelangen Bürgerkriegs im Jemen. Es hat eher damit zu tun, welchen Bildern wir uns zuwenden und welche Art von Erzählung wir daraus schaffen. Erzählungen von Feinstaubtoten sind zu sperrig, um die Gesellschaft zu verändern. Bilder von überfüllten Krankenhäusern und sich stapelnden Särgen lösen hingegen maximale Betroffenheit aus.

 

Alle Macht der Macht

 

Ein weiterer Aspekt der grundlegenden Erschütterung liegt in dem Bild, das wir von unserer Gesellschaft haben. Die Erwartung an Wissenschaft, Medizin und Politik haben sich in den letzten hundert Jahren gewaltig verschoben. Wir leben seit Jahrzehnten im Westen in einer Blase der Sicherheit mit scheinbar hoher medizinischer Versorgung und politischer Stabilität, ohne einen Krieg, der uns unmittelbar betrifft. Gleichzeitig beschleicht uns das Gefühl, dass es damit bald vorbei sein könnte. Unsere Demokratien sind durch die gesellschaftliche Polarisierung in ernster Gefahr, die Gesundheitssysteme durch Privatisierung und Priorisierung der Wirtschaftlichkeit stark ausgehöhlt, Nationalismus und widerstreitende Machtinteressen haben den Krieg an die Ränder Europas herangetragen. In dieser Situation ergibt sich eine kognitive Dissonanz zwischen einem relativ hohen Lebensstandard und gefühlter Unsicherheit. Gleichzeitig gelingt das Auslagern von Ausbeutung und Leid auf andere Regionen der Erde aufgrund eines sich erhöhenden globalen Bewusstseins nur noch bedingt.

 

In diese Spannung der kognitiven Dissonanz platz plötzlich eine Pandemie, die nicht mehr bloß an den Rändern der Wahrnehmung sondern unter uns stattfindet. Die Orte des Schreckens heißen Bergamo, New York oder Straßburg. Was sich bisher nur in schaurigen Blockbustern Bahn gebrochen hat, scheint nun Wirklichkeit zu werden: die scheinbare massenhafte Ausrottung von Menschen „unsres Schlages“. Hunderttausende, ja Millionen wurden allein in Europa prophezeit. Die über Jahrzehnte durch Verdrängung aufgebaute Spannung entlädt sich plötzlich. Angst und Panik machen sich breit, die Medien tragen ihren unrühmlichen entscheidenden Teil dazu bei. Alles wird der Berichterstattung über das Virus untergeordnet, jeder Tote gezählt, nichts wird und darf in Relation zu sonstigen Zahlen gesetzt werden. Die moralische Überhöhung der Todeszähler ist gewaltig. Im staatlichen Fernsehen wird mit der Kamera ohne Scham auf am Boden liegende Erkrankte gehalten, Großaufnahmen mit Patient*innen mit Atemmasken scheinen auf einmal im Sinne der Aufklärung der Menschheit gerechtfertigt.

 

Diesen Kontrollverlust an Würde und Ratio machen sich die Regierungen zunutze, nachdem sie viel zu lange die Warnungen der Forscher*innen in den Wind geschlagen haben. Der österreichische Kanzler droht mit 100.000 Toten, ohne Berechnungsmodelle für diese These offenzulegen. Doch wirklich genau will es anfangs ohnehin niemand nehmen, kaum jemand fragt nach. Es herrscht wie nie zuvor ein Gefühl der nationalen Einheit: ein ideales Momentum, Grundrechte weiter zu minimieren und Schritte in die Hochsicherheitsgesellschaft zu planen. Der Deal ist einfach: Wir geben euch Sicherheit, schützen euch vor Unbill und Tod und wollen dafür, dass ihr eure Unkontrollierbarkeit und das Chaos des spontanen Lebens abgebt.

 

Den Tod ist nicht systemrelevant

 

Es ist eine Binsenweisheit, dass der Tod zum Leben gehört. Wir aber leben in einer Kultur, in der wir seine Existenz appetitlich minimiert haben. Er beschädigt nämlich das Fundament unserer kapitalisierten Gesellschaft. Wir haben von klein auf gelernt, in der Schule, im Fernsehen, auf Wahlplakaten, von unserem Chef und unserem Fitnesscoach: je schöner desto besser, je jünger desto besser, je erfolgreicher, desto besser, je mehr Wachstum desto besser, je mehr Follower desto besser. Jeder halbwegs reflektierte Mensch durchschaut natürlich die Einseitigkeit dieser Imperative. Man macht deshalb Yoga und Meditation und liest Ernährungsratgeber, um im nächsten Moment wieder auf die Likes auf Instagram zu schielen, sich im Job über das Lob für seine Kampagne zu freuen und sich der Alternativlosigkeit unserer auf Wachstum aufgebauten Wirtschaft mit Schulterzucken hinzugeben. Erfolg ist einfach angenehmer. Junge Menschen sind einfach schöner. Wachstum ist besser als Rezession. Kann man jetzt auch nicht ändern.

 

Den Tod, gilt es also zu vermeiden, auch die kleinen Tode im Alltag. Es ist verkehrt, wenn wir nicht funktionieren, wenn wir scheitern. Es ist verkehrt, wenn wir krank sind, wenn wir Fieber und Infektionen haben. Es ist verkehrt, wenn wir sterben. Man kann das zwar alles leider nicht komplett vermeiden, doch tausendfach brüllt es uns aus allen Endgeräten mittels Bilder schöner Körper, glatter Haut und glücklicher Gesichter an: der Tod ist falsch! Der Tod ist der Fehler im System.

 

Unser System kann diesen Fehler scheinbar beheben. im Konsum kann man sich Makellosigkeit und Glück erwerben. Unsere Politiker*innen kümmern sich darum, dass das Elend, der Schmutz und die Todesangst, die von den Rändern unseres Wahrnehmungshorizonts hereindringen wollen, ausgesperrt bleiben, dass diejenigen, die durch ihre Flucht anzeigen, dass das Leid sehr wohl Teil unserer Welt ist, nicht zu uns kommen. Durch die Eliminierung des Todes müssen wir notwendigerweise unsere Empathie eliminieren. Denn so wie wir uns nicht unsere Vergänglichkeit eingestehen, uns keinen Raum geben für Scheitern und Furcht, für Schmutz und Unfähigkeit, so können wir und wollen wir das Leid nicht bei anderen sehen.

 

Tod ist die Bedingung für Leben. Jede Trennung der beiden Aspekte des Seins ist sinnlos und macht uns furchtsam und neurotisch. Erst durch das Bewusstsein des Todes gelangen wir im Leben zu einer wirklichen Freiheit.

 

Es gab im Laufe der Geschichte Gesellschaften, die konnten besser mit dem Tod umgehen, andere weniger gut. Die Ausklammerung des Todes jedoch ist in unserer Leistungsgesellschaft systemrelevant. Unsere Angst vor Vergänglichkeit und Stille ist der Motor unserer Wirtschaft. Der Tod ist daher unser größtes Tabu, er muss möglichst unsichtbar bleiben. Sobald wir ihn zulassen, verändern wir die Perspektive auf alles, was unser Leben ausmacht. Wir gestatten uns dann auch wieder die kleinen Tode. Das Scheitern, die Fehler, die Leere, der Verlust sind nicht mehr bloß Makel, die es zu vermeiden gilt, sondern der produktive Ursprung für Veränderung und wirkliches Wachstum. Man wird unabhängig von Leistungsdruck und Ablenkung und gelangt so zu einer inneren Freiheit. Deshalb sind freie Menschen schädlich für unser Wirtschaftssystem. „Den Tod fürchten die am wenigsten, deren Leben den meisten Wert hat“, sagt Kant. Wessen Leben aber durch sich einen Wert hat, der muss sich weniger dazu kaufen. Unsere Politik, die im Zweifelsfall die Interessen der Wirtschaft vertritt, hat daran wenig Interesse und zieht Konsumkörper freien und mündigen Bürger*innen als Untertanen vor. Die Auseinandersetzung mit dem Tod könnte man in unser Erfolgs- und Leistungsgesellschaft mittlerweile schon als subversiven Akt bezeichnen.

 

Kauft weiter!

 

Unter diesem Betrachtungswinkel wird, klar, worin die Bedrohung durch das Corona-Virus liegt: die Menschen könnten begreifen, dass man Sterblichkeit nicht wegkonsumieren kann. Dass unser Gesundheitssystem Grenzen hat. Dass die Katastrophen auch bei uns stattfinden können. Um diesen Eindruck zu vermeiden ist der Politik jedes Mittel recht: Die Grundwerte werden ausgesetzt, das Leben zum Stillstand verdammt, eine nachhaltige Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlagen gerade von Klein- und Einzelunternehmerinnen in Kauf genommen, genauso wie die Zerstörung von Kunst- und Kultur. Die Krise gibt den Regierungen die Möglichkeit, die Karten zu ihren eigenen Gunsten neu zu ordnen – Stichwort „neue Normalität“.

 

Doch genau hier liegt das Entscheidungsfenster. Es darf nicht darum gehen, dass alles wieder so wird, wie es mal war. In diesem sensiblen Moment der Geschichte müssen wir furchtlos und vehement einen Wandel einfordern. Dieser kann nur nachhaltig sein, wenn wir unser Selbstbild als Mensch und Gesellschaft in einem völlig anderen Kontext reflektieren. Dazu gehört, neben Wachstum auch Verfall zu akzeptieren, dazu gehört, den Tod in die Gesellschaft zu integrieren. Wir müssen uns also ehrlich und ohne zu verdrängen die Frage stellen: wie viel Risiko ist uns das Leben wert ist? Was erwarten wir von unserem Gesundheitssystem? Wie stärken wir eigenverantwortliches Handeln und gesellschaftlichen Zusammenhalt? Wie machen wir alte Menschen wieder zu einem sichtbaren und integrierten Teil in unsere Gesellschaft?

 

Wie wir leben und wie wir sterben wollen

 

Unter diesem Lichte werden Verordnungsaktionismus und Angstkampagnen zur Erziehung der Menschen obsolet. Denn viele Maßnahmen im Umgang mit Covid-19 wurden ohne Evidenz ihrer Sinnhaftigkeit durchgeführt oder haben die Krise erst verschärft. In Italien sind aufgrund der Alarmiertheit viele Menschen mit ersten Anzeichen sofort ins Krankenhaus gelaufen. Laut der Wissenschaftszeitschrift Stat+ haben sich 46 Prozent der italienischen Covid-19-Erkrankten erst dort angesteckt. Und während bisher bei einer schweren Krankheit ab einem gewissen Alter eine palliative Behandlung normal war, wurden aus diesen Menschen plötzlich Notfallpatienten gemacht. Statt im Kreise ihrer liebsten die letzten Tage zu verbringen, wurden sie von in Plastik vermummten Menschen mit Maßnahmen versorgt, die das Leben mittels qualvoller Prozedur unter dem Risiko von Folgeschäden manchmal nur kurz verlängern.

 

Was uns in der Corona-Krise wirklich verstört, sind nicht die Zahlen der Toten, sondern die Umstände, wie die Menschen sterben. Es sind die Bilder von Patienten mit Atemmasken, umgeben von anonymen Schutzkleidungsträgern. Es sind die Bilder der Särge, die sich stapeln und in Notgräbern beerdigt werden. Es ist der Gedanke an ein Ende ohne Liebe und Abschied, an einen einsamen Tod. Es ist der Verlust des Ritus, der uns Wirkmächtigkeit und Kontrolle über das Leben und den Tod verspricht. Das führt zu einem Gefühl von Machtlosigkeit und Würdelosigkeit. Es braucht aber eine Risikoabschätzung, die die Würde in den Mittelpunkt stellt und nicht die bloße Vermeidung des Todes. Wir sollten, statt bange zu fragen „wann sind wie viele gestorben?“, eher bange fragen „wie sind sie gestorben und welches Leben haben sie gelebt?“

 

Ein anderes Menschenbild bedeutet eine andere Einbindung von Vergänglichkeit in unser Leben. Es bedeutet dadurch auch eine ganz andere Einbindung der Alten in unsere Gesellschaft. Dann kommen wir höchstwahrscheinlich nicht auf so absurde Ideen, Alte bis zur Entwicklung eines Impfstoffes zu isolieren, damit sie möglichst lange möglichst sicher zu leben. In Frankreich verweigerten manche Menschen in Pflegeheimen die Nahungsaufnahme, weil sie lieber sterben wollten als dieses Unglück zu ertragen. Wir sollten den Alten zugestehen, dass es an ihnen ist, zwischen Risiko und Leben abzuwägen. Wir würden dann aufhören, ihnen Angst machen, indem wir den Tod möglichst unmenschlich gestalten. Wir würden aufhören, sie zu beschimpfen, wenn sie selbst einkaufen gehen wollen oder ihnen verbieten, ihre Enkelkinder zu umarmen. Und wenn sie sich aus eigenem Wunsch vor einer Ansteckung maximal schützen wollen, weil sie Angst haben, dann müssen wir das ebenso akzeptieren und uns um sie kümmern, dass sie gut versorgt und nicht einsam sind.

 

Selbstermächtigung statt Angst

 

Eine wirklich liberale Gesellschaft wird niemals eine Hochsicherheitsgesellschaft sein. Doch sie erlaubt, selbstbestimmt zu leben und selbstbestimmt zu sterben. Deshalb sollten wir die Reglementierungen und Einschnitte in unsere Handlungsfähigkeit hinterfragen. Denn es ist gerade jetzt, wo die Coronakrise die Schattenseiten unseres Systems offen legt, umso notwendiger, dass wir handlungsfähig bleiben, auch um den Menschen zu helfen, die gerade in größter Not von uns in Stich gelassen werden: in den Kriegsgebieten, den Flüchtlingslagern, in den Folterkellern, in den Arbeitslagern und den überfüllten Slums.

 

Furchtsam abzuwarten ist daher sicher nicht das Gebot der Stunde. Denn Angst schwächt nicht nur das Immunsystem, sie schwächt uns auch als Gesellschaft und zerstört die Solidarität untereinander. Angst heißt Vereinzelung. Das kommt den Mächtigen gelegen. Teile und herrsche. Erst ein offener und souveräner Umgang mit dem Tod kann die Vereinzelung in unserer Gesellschaft durchbrechen. Die Natur hilft uns, die Angst zu besiegen. Sie zeigt uns, dass nichts wirklich vergeht sondern sich alles wandelt. Darin liegt vielleicht überhaupt der Schlüssel, die kommenden wirklich großen Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen. Dass wir aufhören, bloß dem Wachstum zu huldigen, wieder von der Natur lernen und zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel gelangen, um das Bündel an Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, in eine zukunftsfähige Lebensweise zu transformieren. Dazu braucht es Mut, Initiative und Selbstermächtigung. Und die Freiheit des Denkens.

 

manifesto

 

1.

kunst verlangt vollkommene universalität – kunst kann nicht für sich stehen, kunst muss sich dem leben ausliefern, wie sich das leben der kunst ausliefern muss. wir sind nicht mehr geboren für eine fülle von möglichkeiten. wir sind geboren für die unmöglichkeit des moments. wir sind geboren, um die vollkommenheit im unvollkommenen zu entdecken.

 

man kann keine grenze zwischen realität und darstellung ziehen, da sich realität immer darstellt. authentisches ist eine bürgerliche illusion, eine falsche sehnsucht aller von sich entfremdeten. nichts steht außerhalb. alles ist verwandlung. alles ist spiel.

 

 

2.

es gibt keine ideale. es gibt nichts anzustreben. es gibt nichts, das besser wäre als wir. ideale schaffen stets ein defizit. wir sind in uns vollkommen. es geht nur um die unabdingbare pflicht uns gegenüber, dies anzuerkennen. es geht darum, niemandem zu glauben, der uns etwas verspricht, das außerhalb von uns wäre. wir schulden niemandem etwas. wir sind stets ohne schuld. wir müssen die güte erlangen, uns dies zuzugestehen. dann können wir es allen anderen zugestehen. dann hören wir auf, den anderen die schuld zu geben. dann ist der andere nicht  länger der andere.

 

wir müssen dem leben gegenüber ahnungslos werden, dann hören wir auf, ständig enttäuscht zu sein.

 

 

3.

gilt etwas für eine sache, so gilt dafür notwendigerweise auch das gegenteil. in einer vergänglichen welt kann es keine absolute gültigkeit geben. alles zerrinnt und erschafft sich in neuen formen wieder. alles ist atem, alles setzt sich zusammen und zerfällt. unser ich ist eine illusion. es ist jeweils zusammengesetzt aus erinnerten momenten, aus verdrängtem, und bewusstem. ohne zeitlichkeit. identität ist unere haltung zum vergänglichen. haben wir das verstanden, legen wir die ewigkeit unserer existenz frei. diese wird nicht erkannt, da sich subjekt und objekt aufheben. sie zeigt sich.

 

uns bleibt nur die dialektik. es ist unsinn, sich dagegen zu wehren. jeder widerspruch, jedes scheitern ist überhaupt erst die möglichkeit einer entwicklung. es gibt keinen frieden, nur steten kampf. den kampf nicht zu verurteilen, heißt frieden schaffen. der feind ist dabei niemals unser feind.

 

es gibt keinen feind außer uns selbst. wir können niemandem die schuld geben. das ist unsere ultimative befreiung, denn sie macht uns völlig unabhängig. damit haben wir den kampf schon gewonnen, bevor er überhaupt begonnen hat.

 

 

4.

hierachien sollen nur dann entstehen, wenn sie gebraucht werden. aus dem kontinuum von gemeinschaft erheben sie sich wie eine welle,  um das zu organisieren, was notwendig ist. hierachien sind völlig der zeitlichkeit unterworfen und vergänglich. sie sind instrumente der organisation. sie sind nicht gut oder schlecht. wer gegen hierachien ist, erkennt sie erst an. wer hierachischen strukturen mehr aufmerksamkeit schenkt als notwendig, hat schon längst hierachien in seinem inneren fest eingerichtet. er kann den lift nehmen so oft er will, er wird doch nie oben ankommen. oben ist immer unten. wer gegen die macht kämpft, unterliegt immer. die macht kann man nur ignorieren, dann verschwindet sie, d.h. sie öffnet sich. man ist in ihr.

 

brecht die regeln, um neue zu finden. beachtet die regeln, solange ihr keine besseren gefunden habt.

 

 

5.

jedes spiel ist wahr, weil es offensichtlich nicht wahr ist.

 

kultur ist ein spiel.

 

kultur ist aber auch immer nur ein bespiel.

 

 

6.

links und rechts sind endgültig gestorben. wir müssen aufhören, zweidimensional zu denken in einer mehrdimensionalen welt. wir müssen neue wege finden, abseits der ausgetretenen pfade. wir müssen die begriffe, die untot unsere sprache bevölkern, zerschlagen. wir binden uns mit dieser sprache an dinge, die uns nicht enstprechen. wir müssen eine neue sprache finden.

 

eine gesellschaft bewegt sich immer. unsere spachlosigkeit rührt daher, dass unsere worte erstarrt sind. weil wir dachten, es wäre schon alles gesagt worden. unsere sprache entspricht nicht mehr unserer gesellschaft. eine neue sprache schafft eine neue bewegung.

 

es gibt nichts neues unter der sonne. aber man muss es immer wieder neu schaffen.

 

es braucht einen gründergeist. der gründergeist ist immer bereit zum völligen scheitern.

 

man sollte eher schweigen als reden, wenn man sich berät. wofür die diskussionen?

 

8.

wir dürfen niemanden auf der strecke lassen. niemals. verlieren wir einen teil, haben wir uns selbst verloren.

 

es gibt menschen ohne phantasie. aber das macht nichts. wir können unsere phantasie verschenken. phantasie ist ohne grenzen.

 

es gibt menschen ohne phantasie und ohne mittel. für die müssen wir da sein. immer. das ist politik. alles andere ist bequeme eierschaukelei.

 

 

9.

mut ist die fähigkeit, die angst zu akzeptieren.

 

wir müssen das unerwartete in unser leben lassen – dringend. sonst sind wir verloren.

 

warum ein sorgenfreies leben?

 

 

10.

es gibt keine richtigen gedanken.

 

es geschieht etwas.

logblog – donaufahrt von melk ans schwarze meer – finale: delta und schwarzes meer

24/25/26/27/28. Juli

 

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0 km bis zum schwarzen meer, wir haben es geschafft, wir haben es einfach gemacht, 2038 km hinunterzählen von unserem startpunkt unterhalb vom stift melk. 2038 km am fluss, im fluss. zum schluss in seemeilen zählen (da der sulinakanal auch von hochseeschiffen befahren wird) dann in sulina am schwarzen meer die null. ein schild wie all die anderen nur eben eine null. ankunft am 26. Juli in den frühen abenstunden, 48 tage, nachdem wir in melk aufgebrochen sind. trotzdem sind wir noch lange nicht am schwarzen meer, bis dahin sind es ca. noch weitere 6 seemeilen. die strecke ersparen wir uns allerdings. die donau wächst nämlich aufgrund der schwebstoffe, die sie mitführt jährlich um 40 m. deshalb ist die null natürlich schon veraltert, aber weil man nicht jedes jahr alle kilometerschilder entlang der donau abschrauben und erneuern will, zählt man von 0 einfach wieder hinauf. und am ende ist dann noch ein langer damm ins meer hinein, um den kanal vor versandung zu schützen. und da kann es hohe wellen geben. deshalb haben wir dann nach symbolträchtigen nullerfotos im hafen von sulina angelegt und sind am nächsten tag mit dem fahrrad an den strand gefahren und ins meer gelaufen.

 

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sulina ist eine kleine runtergekommene stadt  am rande des deltas, ohne straßenanschluss und nur über wasser zu erreichen. früher war sie mal eine große metropole mit 28 konsulaten,  nach jahren des niedergangs kommt wieder mehr leben in die stadt durch den deltatourismus. an der hafenpromenade sind aber jetzt wir die große attraktion, unser boot ist durchgehend von staunendem publikum umgeben und wird laufend fotografiert. eine gruppe von holländern kann es gar nicht fassen. holländer lieben bekanntlich hausboote und camping, deswegen ist camping am wasser für sie anscheinend die ultimative vereinigung höchsten glücks und und unser boot somit eine art schwimmendes nirvana für sie. die plus 50 frauen sind zumindest reihenweise aus ihren trekkingsandalen gekippt und haben andächtig staunend das deck betreten.

 

empfangen hat uns im hafen christian, ein tourist guide und maler aus sulina, temperamentsmäßig auf naturspeed, der uns die stadt und das leben erklärt, mit uns essen geht, uns zeigt, wie man die sardinen zu essen hat und mich danach in sein atelier einlädt. es ist, stellt sich heraus, das kinderzimmer bei seiner mutter. seine bilder sind vor allem nackte frauen, die sich in fische verwandeln oder umgekehrt.

 

den nächsten tag verbringen wir also am strand und besteigen den alten leuchtturm. während ich mich abends früh zurückziehe, crashen lena und rainer noch eine rumänische hochzeit und werden durchgehend mit shots abgefülllt und sind dementsprechend – der plan war, zwischen fünf und sieben aufzustehen und eine morgenfahrt nach mila 23 zu machen ­– spät aus dem bett zu bekommen.

 

mila 23 ist ein dorf mitten im delta, die orte werden hier teilweise nach den donaumailen benannt. es ist die erste etappe auf unserer rückfahrt stromaufwärts nach tulcea. da es keine straßenanbindung in sulina gibt, müssen wir nämlich zurück nach tulcea und dort die reise beenden, das boot zerlegen und in einen lkw nach wien verladen.

 

moment wie sind wir überhaupt von tulcea nach sulina gekommen?

 

wir bleiben vor unserer letzten etappe insgesamt zwei tage in tulcea, liegen an der republica, an einem in linz gefertigten alten raddampfer, der jetzt ein schickes restaurant ist. der käptn lässt uns in seiner kajüte duschen. in tulcea holen wir verschiedene informationen ein, welche kanäle wir im delta  befahren können, doch die meisten meinen, unser boot sei zu groß für die meisten kanäle und so bleibt nur der hauptarm nach sulina, einer der drei donauarme ans schwarze meer, der auch für die hochseeschiffahrt genutzt wird und ein dementsprechend uninteressanter begradigter kanal ist. allerdings können wir auf der sogenannten alten donau einen kleinen umweg machen und erleben hier schon die schönheit der engen von bäumen gesäumten kanäle, schilfweiten, seerosenseen – und unsere ersten pelikane. was für tolle vögel. also wenn der storch die concorde ist, dann ist ein pelikan ein airbus. groß und elegant, mit wenig flügelschlägen erhebt er sich aus dem wasser, mächtig und leicht zugleich.

 

auf der rückfahrt fahren wir über einen anderen teil der alten doanu nach mila 23, ein wunderschöner ort mitten im schilf, ums wasser gebaut. am weg dorthin lasse ich mich in einem schwimmreifen von bipa an das boot angebunden durch die nebenarme der donau ziehen. in mila 23 finden wir einen guide, der uns am nächsten tag einen weg durchs delta zeigt, somit ersparen wir uns, stundenlang durch den sulinakanal stromaufwärts zu quälen.

 

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und so erleben wir noch eine traumschöne fahrt durch die deltalandschaft und sehen unvorstellbar viele verschiedene vögel. es ist ein vogelreich, eine andere welt, die nichts mit der menschenwelt zu tun hat. wir sehen überall pelikane, komorane, unterschiedlichste möwen- und reiherarten und sogar einen seeadler. alles ist leicht und fliegt über schilf und bäume, wir durchmessen einen tag lang das verzweigte kanalsystem, liegen in der hängematte, gehen baden, kochen, laurentio, unser guide sitzt die meiste zeit am steuer, raucht zigaretten und versucht sich auf russisch mit mir zu unterhalten. um uns weite und natur, außer ein paar fischer, die laurentio alle kennt und ein paar touriboote.

 

als wir schließlich wieder auf der donau sind, ist es windig und es gibt eine hohe dünung, die zillen fassen viel wasser, wir müssen schöpfen und vorsichtig fahren, auch laurentio, der acht jahre bei der marine gearbeitet hat, ist beeindruckt, wie schnell das wasser bei uns reinschwappt und kämpft sich zwischen all den zusätzlich wellenschlagenden schiffen durch das aufgewühlte wasser. aber wir finden sicher in den hafen und legen an der republica an. ich steuere die letzten meter, mache mein letztes anlegemanöver.

 

jetzt ist es vorbei. jetzt beginnt etwas neues. jetzt waren wir beim nullpunkt. eingemündet in den ozean, der uns umggibt. immer auf reisen. immer zu hause auf unserem boot. immer am fluss und im fluss. immer da, niemals woanders. was das alles heißt, weiß ich auch nicht. man weiß nicht, was einen hinter der nächsten flussbiegung erwartet. man weiß es nicht. man kann nur vermuten. oder einfach abwarten. erstmals nichts tun. die perspektive ändert sich sowieso ständig.

 

ich entschuldige mich für meine vielen tippfehler, dieser blog wurde auf schwankendem boot, auf zu heißen restaurantterassen, in mückenumflirrten abendstunden verfasst. oder auch mal in klimatisierten cafes. aber man will ja nicht ewig lektorieren, man will immer weiter, immer weiter…

 

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logblog – donaufahrt von melk ans schwarze meer – pt. IV: ruse – tulcea

14/15/16/17/18/19. Juli

 

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and finally romania. endlich, sag ich jetzt, nachdem ich rumänischen boden betreten habe (er schwankt, zum ersten mal wieder landkrank seit langem) und endlich weg aus  bulgarischen kleinstädten. dass man sich da leicht eine depression anzüchten kann, merke ich auch erst, nachdem ich das gefahrengebiet verlassen habe. ruse muss man hier ausnehmen. ruse ist eine stadt wo wir so viel erlebt haben, dass die depression sich nicht breit machen konnte, wo wir von deutsch-bulgarischen kulturvermittlern freundlich und in geistreichen gesprächen aufgefangen wurden vor dem abtauchen in den bulgarischen weltschmerz. aber auch hier in ruse beginnt alles recht depressiv. ein freund von bulgarischen freunden aus wien empfängt uns am zweiten abend in der stadt: lacho, ein inhaber eines musikclubs, der allerdings nur am wochenende geöffnet hat. mit ihm ist ein anderer freund als übersetzer da, ein musiker, der in katar arbeitet und –  wie sich bald herausstellt – eine anti-stimmungskanone. aus seinem mund kommen dieselben klagen wie überall, mit dem land gehe es bergab, alle parteien seien gleich, die leute ziehen alle weg, ruse hat immer weniger einwohner… aber bei ihm kommen die klagen ohne unterbrechung und in einem lamoyant-sarkastischen grundton. die restaurants würden alle zusperren, keiner brauche mehr musiker… am ende des abends liegt unsere stimung am boden, ich jedoch begehe den fatalen fehler, kontakt mit besoffenen am balkon tanzenden menschen aufzunehmen, die uns dann zu ihrer privatparty einladen. als wir ihre ein-zimmer-wohnung betreten, merken wir, dass alle völlig besoffen und noch sonst irgendwie dicht sind, zwischen uns springt ein ständig bellender kampfhund herum. und nach drei minuten ergießt sich wieder die bulgarische grundlamoyanz über wenig einkommen und arbeitslosigkeit über uns, verdünnt mit einem untrinkbaren rakia. wir ergreifen  bald die flucht.

 

am nächsten tag aber vom ausland subventionierte hochkultur. rainer hat beste beziehungen in ruse, da er vor sieben jahren im canetti-haus eine von der elias-canetti-gesellschaft organisierte ausstellung mit seinem ersten boot gemacht hat. wir geben also einen kleinen empfang auf unserem boot, die presse kommt sowie penka angelova, die vorsitzende der canetti-gesellschaft und einige ihrer mitarbeiterinnen. wir trinken wachauer veltliner, abends machen wir mit der illustren runde eine kleine rundfahrt durch den hafen und die donau hinauf. alle sind entzückt von unserem fahrenden kulturgut.

 

untertags habe ich noch einen ausflug mit lacho und seinem reizenden sohn unternommen, der mit zwölf jahren als perfekter übersetzer fungiert. wir fahren zu der felskirche bei ivanovo im hinterland von ruse. die fahrt ist natürlich ganz im balkanischen stil, mit dem ich mich ja schon irgendwie angefreundet habe. warum man aber, während man mit der rechten telefoniert, mit der linken sich anschnallt, noch mit dem knie lenkend einen lkw in einer langgezogenen rechtskurve überholen muss, habe ich dann doch nicht mehr verstanden, und nachdem wir mit 140 sachen in die nächste kurve dieser holprigen landstraße gebraust sind, habe ich höflich um eine temporeduktion gebeten.

 

am vierten und letzten tage unseres aufenthalts in ruse treffe ich mich gemeinsam mit nina, die für der canetti gesellschaft arbeitet, mit ivan, einem vertreter der roma in ruse, und zwei weiteren roma zu einem gespräch. nina übersetzt. ich habe auf der ganzen reise, ob ungarn, serbien, bulgarien, stänidg nur klagen und vorurteile über roma von fast allen menschen gehört, mit denen ich gesprochen habe. jetzt will ich mal mit den roma selbst sprechen. nina übersetzt. nun höre ich die andere seite. die meisten roma sind nicht krankenversichert, da sie dafür einfach kein geld haben. eine großmutter von einem von ihnen erhält 100 lew rente (ca. 50 €), 90 davon muss sie für medikamente ausgeben. das größte problem ist die bildung. schulbildung können sich viele nicht leisten, da sie sich die schulbücher und was man sonst noch braucht, nicht leisten können. ohne bildung bleibt man aber von der gesellschaft ausgeschlossen. will man als rom einen job, wandern die bewerbungen meist in den papierkorb. in sofia aber auch in anderen städten lassen rechtspopulistische politiker die romalager räumen. es gebe doch ohnehin jetzt geld von der EU für die roma. sollen sie sich doch davon neuen wohnraum schaffen, sagen sie dann den medien. das problem ist, dass das geld für die roma die politiker abrufen müssen und wenn sie das machen, kommt es nie bei denen an, die es brauchen. wer es als rom  geschafft hat, und reich ist, blickt mit noch mehr verachtung auf die armen roma hinab als alle anderen. solidarität gäbe es nicht. das alles erzählt er mir und will dann mit mir ins geschäft kommen. ich solle agrararbeitskräfte nach österreich vermitteln. ich erzähle ihm, dass ich theater mache und dafür nicht der geeigente partner bin. dann verlangt er 75 € für einen ausflug in eine romasiedlung. ich handle den betrag auf 30 hinunter. wir werden in das anscheinend allerärmste viertel der stadt gefahren, irgendwo hinter industrieruinen stehen kleine behausungen an erdstraßen. wir sollen auf unsere sachen aufpassen, sagt er noch, dann steigen wir aus, aus allen häusern/hütten kommen menschen auf uns zugeströmt, es wird laut herumgerufen, kinder betteln mich an, eine mutter will uns ihr baby zeigen, eine andere will mir auch lautstark irgendetwas existenzielles erklären, wir gehen zu ihr nach hause, sie hat unzählige kinder, einige wurden ihr schon von der fürsorge weggenommen, ihr mann ist gestorben. ivan fordert mich auf, die müllhalde zu fotografieren, die innenräume, „so leben die“ ich soll in ihre kochtöpfe fotografieren, wo nudeln in einer trüben brühe schwimmen, „das essen die“, er führt die bewohner vor wie in einem roma-volksmuseum für gelebte armut. dann zeigt er noch auf zwei männer mit schiefen gesichtern, die am straßenrand mit nackten oberkörpern dastehen. „roma“ ruft er, deutet auf sie und lacht sein breites roma-vertreter-grinsen und sein goldener eckzahn blitzt ihm aus dem mund, während seine bunte krawatte im wind weht.

 

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danach laden wir ivan und seine kumpels noch auf unser boot ein. da ich am anfang unseres gesprächs gefragt habe, was eine roma-band für einen abend kostet, da ich mir denke, es wäre doch schön, ein kleines schwimmendes konzert zu organiseren, geht es in unserem gespräch vor allem nur noch darum, uns eine band zu vermitteln, und dabei immer wieder irgendwelche roma-lieder zu singen. doch die angbote sind alle zu teuer für mich und irgendwann habe ich genug, ständig  irgendetwas auszuverhandeln. ivan wird nina an diesem abend noch vier mal wegen der band anrufen. es wird mir schlagartig klar, wie groß die mentalitätsunterschiede anscheinend zwischen der slawischen und der romakultur sind. von serben und bulgaren wurden wir ständig auf alles eingeladen, ivan seinerseits versteht wohl nicht, warum wir denn jetzt kein business mit  ihm machen wollen. wie kann man diese welten zusammenbringen? ohne  solidarität und chancengleichheit geht da gar nichts.

 

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nach vier tagen ruse fahren wir weiter die bulgarisch-rumänische grenze entlang. die reise zieht sich, nach der fünften bulgarischen kleinstadt will ich einfach nur weiter. rainer will sich trotzdem zeit lassen. also sitzen wir vor allem in cafes und restaurants rum, starren ins internet oder ins glas, essen bulgarisches essen, besuchen in tutrakan eine volksmusik- und tanz-veranstaltung mit gruppen aus bulgarien, tschechien und mexiko (!).  seit ruse ist lena, eine grafikerin mit an bord, die rainers bücher gestaltet. sie kann außerdem verschiedenste sprachen, dialekte und akzente imitieren, und so verbringen wir viel zeit damit, die ereignisse der reise auf british english, spanisch, mexikanisch, französisch, sächsich oder bayrisch – oder zumindest, was wir jeweils dafür halten – zu reflektieren. nachdem wir silistra, die letzte bulgarische stadt an der donau, verlassen haben, befahren wir den borcea-arm, einen seitenarm der donau, der sich anfangs schmal durch die landschaft schlängelt. und hier ist plötzlich alles anders. es gibt motorboote, strandbars, man fährt wie auf einer landstraße durch kleine dörfer, am ufer baden kühe, man sieht pferdefuhrwerke, möwenkolonien. soviele tiere überall. badenende zwischen müllhalden. alte fabriken. nach einer weiteren einmündung wird der seitenarm fast so breit wie die originale donau. wir legen bei einem restaurant an, mit swimingpool, springen ins wasser, trinken campari orange. romania finally. noch zirka drei tagesetappen bis zum donaudelta.

 

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20/21/22/23. Juli

 

sisterboat and thunderstorm

 

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jetzt sind wir in tulcea, der letzten stadt vom dem delta, nach einer frühmorgenfahrt über eine diesige donau erhebt sie sich plötzlich wie aus dem nichts auf einem hügel. unwirklich nach der stillen fahrt durch die auwälder. eine hafenstadt voller boote, viel wasserverkehr, und… touristen. und  auf einmal können alle rumänen englisch!

 

die fischer. die haben wir am häufigsten gesehen die letzten tage. man denkt, ganz rumänien fischt. heute früh zum beispiel. wir haben gestern einem alten krankahn bei einem  hotel festgemacht.  ich wache auf, blicke aus dem zelt, ein fischer grinst mich an. ich will zum heck pissen, ein fischer schaut mich an. überall sitzen sie die ufer entlang in zelten, machen lagerfeuer, fischen. den ganzen tag. am ufer, auf booten. und trotzdem gibt es noch genug fische. während meiner drei „guten-morgen-welt-wo-bin-ich-und-und-wieso“-minuten, die ich aus dem zelt starre,  zieht der fischer zwei fische aus dem wasser. wir hätten doch eine angel mitnehmen sollen.

 

die geschlossenen restaurants entlang der strecke  –  in unserem donauführer von 2007 sind sie alle noch geöffnet. der wurde vor der wirschaftskrise geschrieben.  seitdem hat sich das kommerzielle leben an de donua radikal reduziert. das kann man verallgemeinernd durchaus sagen. nur fischen tun sie überall. und in tulcea scheint der delta-tourismus und die schilf-industrie auch ausreichend devisen zu bringen. hier ist so viel los in der stadt. anders in braila. eine schöne stadt 100 km vor dem delta, erinnert aber an verfallende ostdeutsche städte.  selbst in der fussgängerzone im zentrum verfallen leerstehende prächtige altbauten.

 

rumänien liegt wirschaftlich am boden, wie die anderen staaten, die wir durchquert haben, das merkt man, doch es gibt im gegensatz zu bulgarien immer wieder inseln von innoavation und stil. es gibt bars oder geschäfte, die detailiert und liebevoll gestaltet sind. die menschen hier sind nicht so schüchtern und zurückhaltend wie die bulgaren. sie sind widersprüchlicher, entweder vollständig abweisend oder unglaublich hilfsbereit.

 

 

 

und hier in rumänien finden wir auch unser schwesternboot!!! zufällig!!!  vielleicht das einzige boot in rumänien, das ähnlich konstruiert wurde, wie unser boot. nachdem wir vor drei tagen aufgrund der herannahenden dunkelheit in einer kleinen bucht an bäumen festgemacht,  feuer gemacht haben, um die mosquitos zu vertreiben, und gekocht haben, brechen wir am nächsten morgen ohne lebensmittelvorräte auf, um nach braila zu fahren. bei einer, pumpstation, die wasser aus der doanu auf sonneblumenfelder pumpt, legen wir an, ich fahre mit einem jungen fischer in seinem alten dacia baujahr 89 zu einer tankstelle, um benzin zu holen, doch fürs frühstück für uns ist hier nichts zu holen. also suchen wir weiter, wollen hinter einem frachtschiff anlegen und sehen plötzlich vor uns ein boot mit wohnwagen darauf, ein katamaran aus schwimmkörpern, darüber eine holzplattform, aud der der wohnwagen steht und über dem wohnwagen ein weiteres holzdeck. die grudnkonstruktion besteht genauso wie bei uns aus alu-trassen. wir können es kaum glauben. wir kommen sofort mit daniel und iolanda, seiner frau ins gespräch, später kommt bob an, der konstrukteur des wohnwagenboots, er fällt fast um vor erstaunen, als er neben seinem unser boot liegen sieht. schließlich frühstücken wir gemeinsam mit unseren neuen gefährten: tomaten, oliven, schafskäse harte eier, bier, ein richtig leckeres rumänisches frühstück.

 

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danach fahren wir zu zweit über die donau und einen nebenarm, eine kleine wohnboot-karawane. daniel hat noch ein speedboot mit 50 PS im schlepptau.  wir legen an einem sandstrand an einem völlig einsamen nebenarm an und leben wie man lebt wenn man lebt. baden, plaundern, grillen, trinken, fischen, speedboot fahren durch den schmalen nebenarm und einmal über die donau. 50 sachen knapp über der wasseroberfläche. danach, bevor bob zu betrunken ist, setzt er uns in ein minischlauchboot, hängt es ans speedboot an und rast mit uns durch die auwälder, schleudert uns über die wasseroberfläche, man kann nur lachen, adrenalin pur, man vergisst sich zu fürchten. abends ballern wir nach dem essen mit der luftdruckpistole herum, und reden, reden. es gibt nichts schöneres auf der reise als wenn man geschwister im geiste trifft. nachts liegen wir am dach seines bootes und blicken in den unendlich tiefen und klaren sternenhimmel. eine sternschnuppe mit langem schweif zieht über uns hinweg.

 

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am nächsten tag fahren wir dann tatsächlich nach braila und gestern geht es weiter richtung tulcea, das wir nicht erreichen, da eine gewtterfront naht. wir machen genau zum richtigen zeitpunkt am ufer in der nähe von fischern (!) fest, als auch schon losgeht, mit einem gewitter das zwei stunden über und um uns tobt. draußen ist die donau nur ein graues wellenmeer, drinnen sitzen wir in unserem zelt, verscuchen zu lesen, blicken immer wieder hinaus, ob das boot nicht weggerissen wird, rainer wagt sich hinaus, um weitere leine festmachen und um die zillen auzupumpen, die schon halbvoll ist. danach grollt es noch eine stunde nach. irgendwann abends brechen wir auf und fahren durch reine luft unter grauem himmel in den abend hinein. hinter uns zeigen blutrote wolken den sonnenuntergang an.

 

noch siebzig kilometer bis zum schwarzen meer.

 

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logblog – donaufahrt von melk ans schwarze meer – pt. III: belgrad – ruse

30. Juni/1/2/4. Juli

 

saved by crocodiles

 

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jetzt wären wir fast abgesoffen, alter, es geht so schnell, die dinge um die es geht, gehen immer so schnell, „es ging alles so schnell“, sagen sie immer, wenn sie die katastrophe erleben aber logisch, was langsam geht ist selten die katastrophe, höchstens die schleichende katastrophe, die man schon erwartet,  aber nicht das, was einen überkommt, wenn das denken langsamer geht als das leben, das leben einen überflutet. ja. überflutet. aber wieso so früh? wir haben beim alten mann übernachtet, eine flussmündung eine tagesreise nach belgrad, kleine, verwachsene ferienhäuser mit kreativen steglösungen, somnnenuntergang, ein junge ruft uns auf deutsch zu: „kommt ihr aus wien, einer von vielen, die in österreich oder deutschland wohnen, und zum urlaub bei ihrer familie in serbien sind. wir legen also bei seinem nachbarn an, der uns natürlich mit rakia abfüllt und uns grob gehobelte salate anbietet und alle seine nachbarn kommen vorbei, manche sprechen deutsch, manche nicht, als sie gehen ist die unterhaltung mit dem alten auch irgendwann endenwollend, denn er spricht kein wort deutsch und so gehen wir sehr früh schlafen und die jungs (rainer und paul, paul begleitet uns seit belgrad) sind anscheinend beide frühaufsteher, weshalb meine ausgleichende langschläferwirkung weniger ins gewicht fällt. ich arrangiere also das motorenbrummen in meine letzte tiefschlafphase, lasse den wind durch die offene zelttür hereinströmen und denke noch, im mutterleib muss es auch so schön geschaukelt haben. nur bleibt es nicht dabei, das schaukeln wird heftiger mittlerweile ist es ein stampfen, ein  schlingern. ich gehe hinaus und erkenne noch nicht den ernst der lage da ziemlich verschlafen und pisse vom heck in den morgenwind und merke nur wie die querverstrebung vom oberdeck im spanngurt arbeitet.

 

rainer und paul waren eigentlich gut unterwegs, bei wenig wenig wellen, doch die donau kommt zu einer ihrer bisher breitesten stellen und misst nun mehrere kilometer und der wind kommt von schräg vorne angerast und kann richtig hohe wellen aufbauen. ich also melde rainer, das wandern der verstrebung, rainer dreht zum entfernteren leeufer hin, wo wir weniger wellengang erhoffen, paul pumpt die rechte zille aus, rainer sieht sich die verstrebung an, ich übernehme kurz das steuer, wir haben alle für dreißig sekunden die linke zillle nicht im auge und durch die querfahrt fassen wir noch mehr wasser, ich merke plötzlich, dass wir links schon richtig tief drin hängen, und, rufe ihnen zu, sie sollen sofort kübeln, aber da ist es schon zu spät und die linke zille läuft komplett voll und ist gänzlich unter wasser. im schneckentempo nähern wir uns der insel auf der leeseite, die mittlere zille, die mit dem motor, läut immer mehr voll, fünzig meter noch zwanzig, wir haben es geschafft, ankern im schlamm und ufergehölz. drei ruder wurden weggeschemmt, sonst ist alles noch an bord.

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nach längeren küchenphysikalischen überlegungen beschließen wir, die unsichbare armee von zwanzig aufblasbaren krokodilen, die wir aus bisher noch nicht geklärten gründen mitführen, als schwimmkörper aufzublasen und mit spanngurten in den seitenzillen zu fixieren. in der motorzille motnieren wir die styroporquader, die wir auch geladen haben. nach fünf stunden arbeit wagen wir uns mit den neuen auftriebskörpern wieder hinaus in die dünung, die nun schwächer ist, queren zur rechten flusseite und nähern uns in ufernähe der festung ram. nachdem wir danach um die flusskurve gefahren sind und dahinter wieder bis zu einem meter hohe wellen auf uns zukommen, beschließen  wir, umzukehren, legen an und lassen uns erschöpft mit bier vollaufen.

 

das zu heute und davor:

 

in novi sad besuchen wir am zweiten tag ein free jazz konzert in ein besetzen museum, das künstler zwei wochen lang umgestalten. die stadt hat übrigens ein ausgezeichnetes radwegenetz aufzuweisen, die ganze donau entlang sind frei zugängliche soprt- und fitnessanlagen aufgebaut. die kulturszene ist bunt und überraschend. nach zwei tagen novi sad geht es weiter nach

belgrad!

 

was für eine schäbige unstrukturierte und lebendige stadt. soviel lebenslust, soviele cafes und bars und clubs,wie ich sie in keiner anderen stadt gesehen habe. feiern ist hier pflicht! wir legen bei einem nobelfischrestaurant am wasser an, wo wir die die angestelltenduschen nutzen durfen, laufen in handtüchern durch den gastraum, wo die serbischen filmstars dinieren. den inhabern,  ein sympatischer familienbetrieb, ist das egal. abends besuchen uns serbische theatermacher, eine autorin und dramaturgin mit ihrem mann und eine regisseurin. sie empfehlen uns eine bar am wasser ein paar kilometer die save aufwärts gelegen, ich schlage vor, mit dem boot dorthin zu fahren, sie laden ihre fahrräder auf und wir fahren durch das nächtliche belgrad unter hell erleuchteten brücken hindurch, an club- und restaurantschiffen vorbei, und legen schließlich am angepeilten club an.

 

nach zuviel alkohol und langen gesprächen über die theaterszene übernachten wir dort am club. nachts kommt ein unwetter auf. wir haben das zelt nicht geschlossen und verspannt, im vorraum steht das wasser, ich halte das zelt fest, rainer schläft und merkt nichts, als ich es nicht mehr alleine festhalten kann, wecke ich ihn, er kennt sich gar nicht aus und wundert sich nur über das wasser überall, und dann ist es ganz schnell auch wieder vorbei, das gewitter verzieht sich, die sonne geht auf, meine matratze ist komplett nass, ich lege mich daneben hin und schlafe weiter.

 

nach einer regenfahrt zu unserem restaurant zurück, bekommen wir frühstück vom chef persönlich gekocht. danach erkunde ich mit dem fahrrad die stadt. ich merke erst jetzt, wie bergig diese stadt ist, man fährt ständig bergauf und bergab. nach zwei tagen belgrad fahren wir durch eine abwechslungsreiche landschaft, wo wir beim alten mann und seinen freunden  landen.

 

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jetzt sitze ich in einem strandrestaurant, die sonne geht unter, schilfzäune und serbische schlagermusik, wir sind im süden angekommen. eigentlich urlaub, aber donau, heute hast du uns gezeigt, dass man dich nicht zum frühstück verspeisen kann.

 

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5/6/7/8/9.Juli

heute bin ich um halb fünf aufgestanden und losgefahren. rainer hat weitergeschlafen.  es war unaussprechlich schön. die sonne geht auf zwischen wolkenstreifen, nebel hängt in den wiesen und tälern. die landschaft ist hier so abwechslungsreich. keine auwälder mehr, sondern, berge, dünen, felder bis zum ufer, auch weingärten, davor ein schmaler schilfgürtel. kleine dörfer, schafsherden und hirten. links beginnt die walachei, der blick geht weit über steppenartiges land.

 

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wir haben es geschafft. unsere längste tagesetappe. 133 kilometer. jetzt kommen wir gerade in vidin an, unsere erste stadt in bulgarien. seit gestern abend machen wir gewitter slalom. heute sind wir die ganze zeit einer gewitterfront davongefahren, donnergrollen hinter uns, ein paar blitze, einmal haben wir sicherheitshalber auf einer insel festgemacht, da waren die wolken auch schon wieder weg.

 

die letzten tage haben wir das eiserne tor duchquert, genauer gesagt, die djerdapschluchten. an manchen stellen ist die donau nur 120 meter breit und dafür über achzig meter tief. steile felsklippen säumen das wasser. bis in die siebziger jahre war die stelle aufgrund von strömung und untiefen fast unpassierbar, durch zwei riesige staudämme ist der strom gebändigt worden und das passieren kein problem mehr. vierzig meter unter dem wasserspiegel liegen versunkene dörfer, trajans römerstraße und ein kanal, durch den die schiffe früher mit lokomotiven gezogen wurden.

 

in kladovo, kurz nach der ersten staustufe, gönne ich mir ein hotel. nach zwei wochen ohne heiße dusche (mein badezimmer ist die donau) schlafe ich zum ersten mal seit wien in einem richtigen bett. es ist ganz okay, aber das schwanken fehlt. dafür liege ich den ganzen  tag am pool, trinke campari orange, lass mich massieren, plantsche im jacuzzi herum.

 

kladovo ist recht wohlhabend, die hälfte der einwohner arbeitet im kraftwerk. doch das meiste geld kommt wie überall in serbien aus dem ausland. ein drittel der serben arbeitet außerhalb serbiens. eine junge architektin erzählt mir, dass es mit der wirtschaft immer mehr bergab geht. es gibt für junge menschen keine jobs, alle gehen weg. es gibt auch keine hoffnung, alle parteien sind korrupt, und sie glaubt nicht, dass sich etwas ändert. es ist dieselbe leier wie in ungarn. abends sitzen wir mit ihren freunden in einer bar, die eine lebt in vancouver, der andere in paris. jetzt sind alle über den sommer zu hause. serbische kleinstadt mit internationalem flair.

 

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das unglaublichste sind hier die grenz- und wasserpolizeistellen. beim ausklarieren in serbien war dies eine kleine wellblechhütte. davor ein polizist, der auf seiner zeitung eingeschlafen war.neben ihm eine angel. er war völlig alleine, umgeben von industriehafen und kränen, daneben ein verlassener duty free shop. es sah aus wie einer dieser grenzposten, an die man strafversetzt wird. in vidin in bulgarien handelt es sich dagegen um einen riesigen runtergekommenen stahlbetonbau. die fensterscheiben sind blind. im foyer steht ein tischtennistisch. der größte teil des gebäudes steht leer. die grenzbeamten haben nichts zu tun und auch keine ahnung, was zu tun ist, erklären sich gegenseitig die formulare, worunter sie dann irgendeinen stempel setzen. ich werde von einem zimmer ins andere gebracht, überall laufen fernseher. es gibt hier wahrscheinlich nichts mehr zu tun. vielleicht haben die formulare gar keine gültigkeit mehr, aber man will die älteren beamten nicht in pension schicken. vor dem gebäude ist ein ponton, das mit alten anlegestegs vollgeräumt ist. ein rollstuhlaufzug endent im nichts, ein radweg führt auf ein geschlossenes tor zu. hinunter von dem radweg kommt man nur über ein kleine holztreppchen. so ist die ganze stadt vor allem ein absurdes architektonisches durcheinander aus verschiedenen bauversuchen. im moment aber haben sie alle gehsteige aufgerissen und sind eifrig dabei, diese zu rennovieren.falls ihnen zwischendurch die EU das geld streicht, werden die nächsten jahre alle auf der straße gehen müssen.

 

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10/11/12/13. Juli

 

in ruse. wie einer vergessene stadt aus einer anderen zeit. klassizistische häuserreihen wie in einer mittlere österreichische stadt, nur viel schäbiger oder verfallen. zauberhaft. doch es gibt auch viel leben hier auf den straßen, das meiste um den riesigen freiheitsplatz mit seinen bunten kitschigen springbrunnen. bulgarien ist hier sehr mitteleuropäisch. in anderen teilen sind südländischere und orientaischere einflüsse bemerkbar. vor allem indische. ernsthaft. die wackeln hier genauso mit den köpfen, wenn sie „ja“ meinen wie die inder. das hab ich sonst nirgendwo in europa erlebt. die speisen sind mit kreuzkümmel und garam masala gewürzt, und die musik klingt manchmal nach bollywood.

 

die donau ist hier wieder viel einsamer als in serbien. die leute eindeutig weniger wasseraffin und ärmer. kaum motoboote, ein paar ruderboote und auf der rumänischen seite angler mit minischlauchbooten.

 

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und die donau ist hier tückischer und weniger klar ausgebojt. eine schwierige kombination. bei wellengang unsichtbare untiefen ragen weit in die flussmitte hinein, zweimal wären wir fast aufgesessen, einmal hatten wir sogar  grundkontakt, der motor hat gerumpelt, als würde er gleich in alle einzelteile zerspringen. wir halten uns auf alle fälle eine weile wieder an die fahrrinnenmarkierungen, soweit sie vorhanden sind.

 

das wetter ist weiterhin gut zu uns. wenn gewitter sind, dann immer nur vor oder hinter uns, wir erwischen immer die richtigen slots. das neu angebrachte sonnensegel am führerstand hilft uns auch über die paar richtig heißen tage hinweg.

 

vor drei tagen haben wir an einem steg bei einem gebäude übernachtet und wissen noch immer nicht genau, wo wir da eigentlich waren. ein haus, groß wie ein hotel, leerstehend, gepflegter rasen, ein amphibienfahrzeug im park, ein unkomplizierter portier,ein paar straßenhunde,  festbeleuchtung im ganzen park und am anleger. leere. stille.

 

vorgestern waren haben wir in svishtov, an einem rumänischen schubschiff angelegt und mit der besatzung auf ihrem schiff, das auf fracht wartet und dann nach wien aufbricht, über untiefen und frauen gesprochen, rumänische und österreichische weine getrunken und backgammon gespielt. das schubschiff hat zwei riesige 2500 PS-motoren,   wir haben immerhin einen 30 PS-Motor.

 

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svishtov ist entweder verdammt wohlhabend oder bekommt viel EU-förderung. Die bulgarische kreativität bez. stadtarchitektur findet hier auf einem exklusiveren niveau statt: hier gibt es beleuchtete gehsteige und eine aufwendige fußgängerbrücken in den frachthafen. auf dem hauptplatz steht ein billa. Und eine raiffeisenbank. sieht ein bisschen aus wie waidhofen an der thaya.

 

logblog – donaufahrt von melk ans schwarze meer – pt. II: budapest-belgrad

22/23.Juni

 

unsere erste regenfahrt. rainer am steuerstand, ich unterm daunenschlafsack, nachdem ich vorher selbst das schiff gesteuert habe und da oben fast abgefroren bin und ich mir beim nächsten mal doch das ölzeug überstülpen werde. bis gestern war das wetter weiter gut zu uns, gestern nacht ging genau über uns ein gewitter nieder, neben uns hat der blitz eingeschlagen, wir lagen aber gut vertaut im hafen von paks.

 

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vorgestern hatten wir eine prächtige fahrt durch das stadtzentrum von budapest, vorbei am parlament und der burg. das wasser war sehr unruhig wegen der vielen schiffe und des windes. auch nach budapest bleibt die donau sehr unruhig und wird erst am späten nachmittag zahm. abends eine wunderschöne sonnenuntergangsfahrt, am ufer angler, es wird gegrillt, rauch zieht waagrecht über die donau, beirut im knopfkopfhörer steuere ich das boot über grünes wasser dem schwarzen meer entgegen. in dunaujvaros fahren wir im letzten licht des tages in den industriehafen ein an mächtigen kränen vorbei und wollen am steg einer kleinen marina anlegen, doch irgendeine aufpasserfrau entdeckt unsere lichter und und will uns nicht da haben, wir streiten eine stunde in zwei verschiedenen sprachen. zwei junge männer, die gerade anlegen, müssen übersetzen, wir versuchen stur zu bleiben doch die frau bleibst sturer. wenn wind komme, könnte der steg abtreiben oder so ein unsinn. es ist mittlerweile stockdunkel, wir haben kein ausreichendes licht, um durch die untiefen hier wieder raus zu kommen, also müssen wir am gegenüberliegenden ufer an einem baum festmachen, was aber funktioniert, da es in der bucht keinen wellenschlag gibt. des nachts tragen wir unsere fahrräder über geleise, gelangen an die straße und versuchen irgendwo noch etwas zu essen aufzutreiben, landen schließlich im vorort von dunaujvaros beim einem mcdrive. nachts nur ferne geräusche vom hafen, eine lokomotive fährt vorbei.

 

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am nächsten tag verbringen wir den mittag in dunaföldvar, einem gemütlichen kleinen städtchen, arbeiten im eisacafe am hauptplatz in unsere computer hinein. am nachmittag fahrt durch menschenleere gegenden. man kann nicht sagen, dass europa überbevölkert ist. soviel einsamkeit. und überall intakte natur, auwälder, sandstrände. umweltprobleme scheint es nicht zu geben. keine spuren der menschheit. man könnte meinen, man sei in der wildnis und immer wieder gibt es ein paar eingeborene, die angeln und uns zuwinken. der mensch ein kleine untergeordnete gattung auf unserem planeten, harmlos, und kaum sichtbar. wir entdecken wieder eine langgestreckte wunderschöne sandinsel. ich gehe baden, rainer macht kunstvideos mit unserem krokodil und lässt es am wasser entlangtanzen. ich sehe von der ferne zu, beobachte rieeige muscheln, die eine sandspur durch den flußboden ziehen, spiegelklares wasser. nachtmittagssonne. abends in paks viel rosé, alles wetterfestmachen und krachendes gewitter.

 

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24/25. juni

 

in der früh hole ich brötchen beim bäcker. ich mag es mit dem fahrrad durch diese kleinen ungarischen städte zu fahren, und das treiben am morgen zu beobachten, unauffällig wie ein unsichtbarer beobachter. alte männer, die einkäufe tragen, frauen, die zusammen stehen und ein schwätzchen halten, bauarbeiter, die noch nicht bauen, mädchen, die am fluß sitzen und auf etwas warten. kleine heile welt. der morgen ist hier unschuldiger als anderswo.

 

nach der regenfahrt kommen wir nachmittags nach baja. ein langgestreckter kanal führt direkt in die stadt. am ufer überall menschen, die uns zuwinken. abends sitzen wir mit jugendlichen aus der stadt auf deck, trinken wein und reden über das system orban, das sie nur als mafia bezeichnen. alles gehöre orbans freunden oder werde ihnen zugeschanzt. zigaretten darf man nur noch in bestimmten deklarierten läden kaufen, die alle orban gehörten. mit dem land gehe es bergab, die gipsys sind aggressiv, ungarn war mal viel größer, wer sich politisch betätigt landet im gefängnis. die vermutung, dass die jugendlichen nationalistisch infiltiriert sind, verstärkt sich am nächsten tag. nachdem es die ganze zeit geregnet hat, treffen wir die jugendlichen nach dem abendessen. sie empfangen uns mit selbstgebranntem schnaps und wein und führen uns dann in ein lokal, mit doppelt versperrten türen, das man nur mit gesichtskontrolle betreten darf. es heißt viking club und die ahnungen scheinen sich zu bestätigen. aber nichts ist hier eindeutig. genauso sind hier punks, die rammstein hören, und linke dreadlock-ziegenbärtchen-typen, emo-mangafetischisten mit hang zu darkcore. hier gibt es wohl keine berührungsangst zwischen rechts und links.es ist ein sammelbecken derer, die sich ausgeschlossen fühlen.  ich versuche ihre nationalen argumente zu entkräften, sie stimmen mir immer sofort zu um dann den nächsten blöden spruch zu liefern („ungarn ist das einzige land der der welt, das nur an ungarn grenzt“). wir fühlen uns unwohl, verabschieden uns bald.

 

als ich am nächsten morgen durch die vororte der stadt radle, wird mir klar, wie arm dieses land eigentlich ist. über die hälfte der straßen sind nicht asphaltiert, man fährt durch große arme-leute-siedlungen, teilweise sieht es hier aus in wie in kasachstan. mir wird klar, dass sich das system einer armen mehrheit und einer kleine reichen elite, die sich durch ein repressives system absichert, gut in die EU integrieren lässt. geld für die autobahnen und die stadtzentren, geht man dreimal um die ecke sieht man  große armut 4 autostunden von wien entfernt. man hat das gefühl das ganze land steht unter wasser, eine abgestumpfte gesellschaft, man spürt allerorten hoffnungslosigkeit, zaghaftigkeit. die harmlosigkeit dieser welt hier ist vor allem ein rückzug aus der zukunft. einer der jugendlichen hat uns vorgestern gezeigt, wo das hochwasser letztes jahr stand. so hoch wie noch nie. die halbe stadt, die insel unter wasser. damals haben sie alle geholfen, aber unter polizeischutz wegen der politschen spannungen.

 

heute wieder sonne, die fahrt geht weiter zur serbisch-kroatischen grenze.

 

26/27. Juni

 

serbia! hier weht ein anderer wind. ungarn ist anscheinend wirklich ein vakuumverpacktes land, der unterscheid macht das klar. den hier in serbia sind die menschen gleich viel offener, witziger, selbstbewusster, man kann sofort herumscherzen, sich gegenseitig verarschen, es gibt nicht mehr dieses schüchterne untertänige getue der menschen. das essen ist fetter. die frauen selbstbewusster. auch passiert viel mehr auf der donau. überall fischer, sonnenbadende auf sandbänken, sonnenschirme überall am ufer. zumindest in der nähe der städte und dörferabseits davon sind auch hier strände menschenleer und naturbelassen. die donau fließt auch hier völlig unreguliert, doch im gegensatz zur puszta wo sie breit und langsam dahin fließt, schlängelt sie sich die kroatisch serbische grenze entlang. hier sieht man ständig riesige große silberreiher, schwarzestörche und am himmel kreisen die seeadler. manchmal ist die donau ganz schmal wie ein junger fluss, schmäler als in linz etwa. dann wir sie weit, ist wie ein ruhig liegender see und man glaubt sich abgeschlossen von der welt, , wie auf einem einsamen waldsee, nicht verbunden durch den strom, strömung und schiffahrt. der fluss hat viele gesichter.

 

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vorgestern nach einer kunstaktion mit einem rostigen kahn in baja fahrt zu dritt ­– georg russegger, der projektbetreuer des MS Cargo projekts ist für zwei tage dabei – nach mohacs, der grenzstadt zu serbien und koratien, wo wir bei bela am ponton anlegen. kaum betritt man das festland, ziehen sie schon über orban und die mafia her. ich frage mich, wer den hier eigentlich gewählt hat. am nächsten morgen nach erledigung der ausreisemodalitäten frühe fahrt über die grenze, einreisemodalitäten nach serbien in einer völlig runtergeschusterten grenzstation im nirgendwo, mit lebensgefährlich schwebenden metalltreppen ans festland, mit kettenrauchenden serbischen kapitanos, grimmiger polizei, und freundlichen dreadlockhaarigen kassierern, die einen liebevoll siebzig euro abknöpfen, während man auf die europakarte an der wand blickt und vergeblich montenegro und kosovo als eigene staaten sucht. nachdem wir beim ablegen noch einem typen, der der ganze zeit kohle fürs anlegen von uns haben wollte und zum schluss nur noch bier haben wollte, eine dose zugeworfen haben, geht es weiter die serbisch krotische grenze entlang. an einem weißen sandstrand legen wir an, rainer kocht spaghetti amatricana, bastelt mit georg am boot, ich liege in der sonne, später nur noch im schatten, weil es immer heißer und heißer wird. abends legen wir in apatin an.

 

28/29.  Juni

 

Yugoslavia!

 

AUA. scheiß kater. man muss so trinkfest sein am balkan. was ist denn da passiert gestern. wir waren in vukovar. im grenzgebiet. was für ein unsinn. grenzgebiet. vor über zwanzig jahren gabs hier noch gar keine grenze. und jetzt muss man sich eindeklarieren, ausdeklarieren, stempel da, stempel dort, erklärung für den arzt. was für unsinn.jeder hält es für unsinn aber alle führen es aus. weil die politik den nationalismus für sich genutzt hat und jetzt überall kleine nationalstaaten sind, die keiner haben will und trotzdem ist man darauf stolz. dieser nationalismus! es ist das dümmste und unnützeste, das die menschheit hervorgebracht hat. wenn man hier durch diese grenzgebiete fährt, hört man nur geschichten von vertreibung und entwurzelung, keiner wohnt mehr da wo er gewohnt hat, jeder hat teile der familie im krieg verloren. und was hat man davon?  ist man glücklicher, wenn ungarn zu großungarn wird. kann man sich dann mehr brot kaufen, oder eine yacht, sind die menschen weiser, wenn es statt jugoslawien viele kleine staaten gibt. worin liegt der fortschritt, wenn man sich von den anderen abgrenzt, die in ihrer sprache ein paar lautverschiebungen zur eigenen haben, links rum statt rechts rum tanzen und orthodox sind statt katholisch?

 

in dalj rede ich mit einem kroatischen restaurantbesitzer, der 91 mit der famile von serben vertrieben wurde und lange zeit im burgenland gelebt hat. vor ein paar jahren ist er zurückgekehrt und hat gerade ein restaurant mit hotelbungalows eröffnet. früher bestand der ort jeweils zur hälfte aus serben und kroaten.  dann wurden alle kroaten vertrieben oder umgebracht, nur die alten durften bleiben aber wurden auch schikaniert. jetzt kehren mehr und mehr kroaten zurück. der boden war nach der rückgabe der besetzten gebiete an kroatien günstig zu haben, deshalb konnte er sich das große grundstück leisten. er erzählte mir, dass hier normalerweise kroaten und serben in getrennte kneipen gehen, bei seinem eröffnungsfest feierten beide volksgruppen zum ersten mal gemeinsam. wie sie es früher eigentlich immer gemacht haben.

 

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vukokovar ist zu großen teilen wieder hergerichtet, aber trotzdem gibt es noch immer ganze zerschossene und zerstörte häuserzeilen und allerorten baulücken, wo zerstörte häuser standen. auch wenn die ruinen mit planen zugedeckt sind oder blumenkistchen in den schwarzen fensterhöhlen hängen, hat man noch immer das gefühl, geruch von verbranntem zu riechen. beklommen geht man durch die gassen, und hört die schüsse, die die einschusslöcher überall hinterlassen haben. nachmittags findet ein festival mit trachten und volkstänzen in den straßen statt.

 

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saturday night in vukovar.  in einer bar neben einem zerschossenen haus spielt sich das nachtleben der stadt ab. laute musik dröhnt durch die straßen. gibt es hier keine nachbarn? motorradgangs rasen durch die staßen, lange beinkleidung ist bei frauen ein tabu. aufgepumpte männer wo man hinschaut. irgendwann liege ich im bett auf unserem boot, das wir am polizeischiff im hafen festgemacht haben. von allen seiten ist laute musik zu hören und hallt im hafenbecken gespenstisch wieder. in der ferne steht stumm der zerschossene wasserturm von vukovar und blickt über die donau auf die andere seite, die jetzt zu einem anderen land gehört.

 

am nächsten nachmittag werden wir von einem mann mit zahnlücke und rundem bauch bei der vorbeifahrt laut schreiend zum spanferkelessen und der geburtstagsfeier des sohnes eingeladen. serbien liegt mittlerweile auf beiden flussseiten. unsere gastgeber füllen uns schon am nachmittag mit bier ab und zerlegen das spanferkel. mile erzählt, sie seien bosnische serben, die jetzt auf der anderen flussseite in serbien in celarevo wohnen. der vater sei in den kämpfen bei vukovar gefallen. er hat bosnische, kroatische freunde, hat früher friedlich mit ihnen gelebt.  er findet den ganzen krieg völligen unsinn. wie alle hier. gleich darauf posieren seine besoffen kumpels, die mit am tisch sitzen, mit dem tschetnikgruß für ein foto und lassen serbien hoch leben. wir verabschieden uns bald.

 

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und gestern nacht novi sad. mit milan und boki, einem theaterproduzenten und einem bildenen künstler. sie zeigen mir das nachtleben, am schluss singen und tanzen wir zu musik aus der vergangenheit, aus yugoslvia. „ das lied ist aus sarajevo“, sagen sie stolz, „das ist ein kroatisches!“ irgendwann ist mein telefon weg, mein kumpel findet es später unter einem tisch. ich werde auf alles eingeladen. selbst wenn ich jemanden einlade, werde ich darauf eingeladen. eine frau bestellt bei der liveband als willkommensgruß für mich englishman in new york. wir singen lauthals mit: austrian in novi sad.

logblog – donaufahrt von melk ans schwarze meer – pt. II: wien-budapest

15/16/17/18/19. Juni

 

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bootsfahrt zur mittagsstunde, schreiben unterm sonnenschirm (noch hält er, windstärke: leicht) carola schält kartoffel, rainer am steuerstand. karibische sandstrände ziehen an uns vorbei, langgestreckte inseln, ruhiges breites wasser, als wärs der amazonas. in der ferne berge, bald sind wir beim donauknie.

 

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carola, videokünstlerin und fotografin, begleitet uns für ein paar tage. gemeinsam mit ihr fahre ich sonntag nacht nach orth an der donau, wo das boot seit zwei tagen liegt. rainer hat das schiff dort ausbessern lassen, die webseite fertiggestellt – auf der man nun auch die reise verfolgen kann. (http://www.rainer-prohaska.net/cargo/cargo.htm) nach letzten vorbereitungsarbeiten brechen wir erst um 11 uhr auf und schaffen doch eine der längsten tagesetappen, auch wenn wir abends unsere erste nachtfahrt haben werden. vorbei an bratislava, eine stadt, die vom fluss aus keinen sehr attraktiven eindruck macht, gelangen wir am späten nachmittag in den dreißig kilometer langen stausee von gabcikovo, eigentlich ein von mauern umfasster kanal, eine problematische passage bei wind und schlechten wetter, da sich sehr hohe wellen bilden können. hier soll es schon boote über die staumauer geworfen haben. die wetterbedingungen allerdings sind ideal wie sie insgesamt ideal sein werden nach unserer abfahrt aus wien: um 25 grad, immer wieder bedeckt, selten ein paar regentropfen. trotzdem merken wir nach der vorbeifahrt von großen schiffen, wie lange und wie stark sich die wellen in diesem kanal halten, wir müssen immer wieder komplett tempo rausnehmen, damit die zillen nicht volllaufen.

 

die mohnmühle

 

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halt unterbrechung! neben uns ersteckt sich eine lange weiße kiesinsel mit vier bäumen. es sieht aus wie im paradies. wir beschließen sofort anzulegen. carola kocht unter einem baum weiter. ich installiere die mohnmühle am boot. mohnmühle? richtig mohnmühle. vielleicht fange ich ein bißchen früher an. spätestens bei unserem mittagessen in komárno ist klar dass sich in carola und rainer zwei menschen gefunden haben, die es lieben, über essen zu reden. im mittelpunkt steht dabei die österreichische küche sowie ausflüge in die italiensche. detailreich und weitschweifig werden zubereitungsmethoden,zutaten und ihre herkunft zelebriert, es geht um knödel, ihre verschiedenen verarbeitungsphasen und weiß der teufel was. bei irgendeinem dieser gespräche landen die beiden bei der zubereitung von mohnnudeln aus kartoffelteig und es stellt sich die frage, wenn ich es richtig begriffen habe, ob man anstatt kartoffelteig auch einfach kartoffeln mit gemahlenem mohn zubereiten könnte. deshalb ist plötzlich der plan in komárno eine mohnmühle aufzutreiben. gleich im ersten geschäft, ich glaube es kaum, ein ramschladen, bietet uns die verkäuferin drei modelle an. wir entscheiden uns für ein blaues gußeisenes und freuen uns, dass unser boot nun mit so einem essentiellen gerät wie einer mohnmühle ausgestattet ist. auf dieser paradiesischen insel finden also verschiedene kartoffelmohnexperimente statt. carola kocht und ich assistiere. am ende beschließen wir, da wir keine püriermaschine haben, im topf mit den füßen kartoffeln und mohn zusammenzustampfen. irgendwann ist alles so rutschig, die welt gerät aus dem gleichgewicht und wir landen in der donau und verdünnen den brei mit donauwasser. währenddessen beginnt rainer eine kunstistallation zu bauen, indem er mit mehreren parallelen spanngurten zwei große äste eines im wasser liegenden weidenbaumes zusammenspannt. nach einem nickerchen machen wir uns schick für die ausstellungseröffnung, der anzug und das schwarze kleine werden ausgepackt. weißwein und fotos. bei der vernissage ist der künstler anwesend, die besucher und besucherinnen sind begeistert. ein schiff fährt vorbei.

 

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die fahrt geht weiter. also wo war ich? beim stausee. noch immer. irgendwann haben wir tatsächlich die schleuse erreicht. wir müssen noch zwei stunden in diesem unwirklichen niemandsland warten. keine menschen, ferne landschaft, von möwen zugekackte anlegepiers. endlich schleusen wir zwanzig meter hinab neben einem vierfachschubschiff. dann lange weiterfahrt. es wird dunkel. ohne scheinwerfer steuere ich das boot über das wasser, rainer steht vorne und hält im dunkeln nach bojen ausschau. anspannung. eine boje zu rammen, kann böse enden. wir versuchen die einfahrt in den seitenarm zu erkennen, wo wir übernachten wollen. eine einlassung im baumbewuchs. hier könnte sie sein und tatsächlich: volltreffer. wir drehen zu berg und fahren in den seitenarm, bis wir bei einer kleinen verlassenen yachtmarina festmachen. ich koche spaghetti, wir lauschen in die dunkelheit, erschöpft vom langen tag.

 

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am nächsten tag legen wir zu mittag in komárno längseits an einem schubschiff an, mittagessen und mohnmühlenkauf in der stadt, am nachmittag fahrt über eine ruhige donau, abends biegen wir in einen altarm ein und fahren vorbei an dichten bäumen, die sich überm wasser spiegeln zwei kilomter, bis wir zu einem kleinen campingplatz gelangen. man muss viel loten, da viele untiefen. der campingplatz ist fast komplett leer. wo sind eigentlich die menschen?

 

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am nächsten morgen arbeitszeit. jeder ist in seinen computer vertieft. wir sitzen unter den schirmen des campingplatzrestaurants. hauptthema unserer gespräche ist eine suppe, die carola – verführt vom geruch aus der küche – zum frühstück bestellt und die eigentlich nur für die angestellten vorgesehen ist. die köstlichkeit dieser suppe ist anlass für ausführliche gespräche mit dem personal, die köchin wird aus der küche hinzugeholt und muss die zutaten und die zubereitung erläutern. nachmittags geht es weiter bis estergom, einem traumhaft gelegenen städtchen, an den abhängen eines berges, auf dem eine gewaltige klassizistische kirche steht. wir legen bei attila in der marina mitten in der stadt an, laufen durch stille altstadtgassen, sehen die sonne untergehen am burgberg, der fluss glitzernd unter uns. jetzt liegen wir nach dem nachmittag auf unserer paradiesinsel am inselspitz vom donaukinie beim alten mann mit dem weißen bart, der im boot lebt. am sandstrand leuchten lagerfeuer, lachen schallt durch die weidenbäume herüber. zu unserem boot. unser boot. wir sehr lieben wir es. doch der mann mit dem bart winkt nur einmal kurz. beim letzten mal vor sieben jahren kam er mit einer flasche schnaps hinüber. das beschäftigt rainer. weniger meschen an der donau als bei seiner letzten reise und zurückhaltender. liegt es an der jahreszeit? an der gegend? in der slowakei haben sich kaum menschen gezeigt, in ungarn sind sie schon offener. was kommt? am nächsten morgen wird er uns auf alle fälle helfen, das boot, das sich auf der sandbank über nacht festgesetzt hat, ins wasser zu schieben, gemeinsam mit ein paar anderen ungarn von den lagerfeuern nebenan.

 

gesprächsfetzen und leben am boot, des abends, von carola notiert:

 

der computer ist das gegenteil vom schiff

 

gluck (weinflasche)

 

volker kocht speck auf

 

der mann mit dem weißen bart am schiff das neben uns liegt. der schläft schon

 

das mag der rainer gar nicht. ist er abgestumpft? wieso begrüßt er uns nicht?

 

volker isst, rainer redet und trinkt wein

 

da ist auch sand drin im speck

 

man muss nur dem sandstrand nahe kommen

 

ich dachte, da ist mehr los als vor sieben jahren aber es ist weniger los

 

„nur weil er dir keinen schnaps anbietet?“

 

nein, es ist wie eine geisterstadt.

 

niemand mehr da volker: vielleicht geht die reise einfach mehr nach innen.

 

rainer – jajaaa stimmt

 

die jungs sind piraten

 

volker sag mal einen satz zum tag!

 

mohn tag rainer kichert

 

rainer wie geht’s dir? rainer macht windgeräusche oder störgeräusche

 

rainer sagt (durch die kamera) ich bräuchte einen monat länger zeit

 

carola sagt – ich bräuchte ein leben länger zeit

 

rainer ist im zelt holt bestimmt wein

 

lachen aus der kamera

 

stille

 

rainer raschelt am oberdeck

 

irgendwo reden frauen in einer fremden sprache

 

die technik versagt immer wenn das leben greift

 

wie spät ist es?

 

zu spät oder zu früh?

 

oder einfach donauzeit.

 

 

 

20/21. juni

 

budapest

 

wir laufen durch straßen die aussehen wie wien in meiner kindheit. diese stadt ist eine ungewaschene perle. ich meine abseits der sehenswürdigkeiten. das parlament und die burg sehe ich nur von der ferne. von der brücke aus, angestrahlt aus tausend lichtern, überirdisch. wir treiben uns in einem viertel rum, das carola noch von ihrem letzten budapestaufenthalt kennt. sie zeigt uns ein kleines restaurant mit fantastischem essen. wir finden clubs, gärten in baulücken mit drinks und hängematten, aber alles völlig unprätentiös. wie bar 25 in ihren anfängen. hier gibt es keine hipster. eine angenehme mischung von menschen. zwei tage laufen wir durch diese milde stadt. carola verlässt uns abends und fährt nach wien zurück. wir wollen sie gar nicht gehen lassen. jetzt sind zum ersten mal nur rainer und ich an bord. zwei männer keine frau. beginnt jetzt der ernst der bootsfahrt?

logblog – donaufahrt von melk ans schwarze – meer pt. I: melk-wien

den ewigen stausee von gabcikovo nutzend beginne ich meinen logblog. rainer fährt nah an der seitenmauer, um die kichtürme, die unterhalb von uns liegen, zu fotografieren. dörfer unter der wasseroberfläche aber trotzdem trocken. wir durchqueren eine unwirkliche welt. die staumauer ist so hoch, dass sich die wasseroberfläche auf kirchturmspitzenniveau befindet. man blickt vom wasser hinunter ins land. hier am damm zu wohnen ist  sicher ein eigenartiger lebenszustand, der einen wohl albträume bereitet. wassermassen, nahe, aufgetürmt, bedrohlich. genauso fremd, unwirklich, diese gegend, man blickt hinab in leuchtende felder, sieht dörfer, straßen, aber menschenleer. enfernt hinter der mauer. verborgen hinter glas. man sieht und hört kein leben. hört nur sich selbst. wellen, den motor. menschenleere —-

 

 

funkstille, strom aus. die stromversorgung an deck war noch nicht installiert und mein notebook leer. und schon wieder ein tag vergangen. kühle abendfahrt, arbeitsstunde. endlich schreiben, carola lädt fotos hoch, rainer wieder am steuerstand. das erste glas weißwein. man denkt man hat soviel zeit am wasser aber man bedenkt nicht, dass man auch soviel zeit braucht. zuerst mal um einfach zu schauen. zu hören. nichts tun. und dann ist ja auch  immer etwas zu tun auf so einem boot wie bei einem haus mit garten. aufräumen. deck kehren. wasser schöpfen, wasser pumpen. steuern, loten, anlegen, ablegen, leinen versorgen, zelt aufräumen, boot umbauen, weiterbauen – die stromversorgung funktioniert jetzt. also nochmals aber diesmal von ganz von vorne —

 

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8/9/10/11. Juni

 

fast dreihundert kilometer sind wir schon unterwegs, doch niemals hatte ich das gefühl, von wo aufgebrochen zu sein, verreist zu sein, man ist einfach immer da wo man ist, da ja der fluss auch immer nur da ist wo er ist. oder besser gesagt, er ist immer überall gleichzeitig. donauwasser ist donauwasser und unser boot ist unser boot. so gesehen zieht die welt an uns vorbei, wir bleiben. das wasser der wind, die sonne, der wellenschlag, das motorengeräusch.

nach kurzer nacht lande ich in wien am flughafen, packe in meiner wiener wohnung noch die letzten sachen in meinen koffer und fahre gleich weiter nach melk, wo rainer prohaska zwei wochen lang an einer marina unterhalb des stiftes das boot, die ms cargo zusammengebaut hat, nach monaten vorbereitungszeit, ein kunstprojekt. einmal hat er so etwas schon gemacht mit einem ähnlich konstruierten boot, jedoch fuhr er damals nur bis nach ruse in bulgarien. diesmal wollen wir bis ans schwarze meer. kilometer zero der donau. das boot wird von spanngurten zusammen gehalten. es ist eine art trimaran. eine plattform ist auf drei zillen angebracht, in der mitte eine neun meter lange motorzille mit einem 30 PS außenboarder, seitlich zwei kürzere zillen, an der hinterseite ein drei meter hoher steuerstand. die erste etappe von melk nach wien unternehmen rainer und ich zu viert mit julia und bianca. außer der jungfernfahrt mit dem behördenmenschen für die erstellung des typenscheins sind wir noch nie mit der MS CARGO gefahren. zuerst testen wir ob wir gut flussaufwärts vorankommen, was essentiell ist für jede art von manöver. dann geht es die wachau hinunter. nach den ersten paar kilometern merke ich, dass eine zille leckt und ziemlich viel wasser eintritt. ich stürze zum kübel und beginne zu kübeln. blicke zu rainer. er scheint nicht besonders beunruhigt zu sein. ich frage rainer, was denn zu tun sei. „erstmals nichts“ sagt er und so küble ich mal weiter das wasser aus der zille. dieses „erstmal nichts“ wird zu einer der grundregeln auf unserer fahrt. da am wasser prinzipiell alles langsamer geht und zeitverzögert passiert, ist, erstmal nichts zu tun, meistens das beste. ein großes schiff kommt auf dich zu, tue erstmal nichts, kurz darauf weißt du auf welcher seite du ausweichen musst. du lenkst das boot nach links oder rechts und es passiert nichts? tue erstmals nichts, denn zehn sekunden später wird es reagieren, wenn alles langsamer ist, muss man also immer vorausdenken, immer das machen, was dann in naher zukunft passieren wird. man tut also nichts, denkt aber gleichzeitig voraus. ein widerspruch aber eigentlich nur eine sache der perspektive. denke ich vom wasser her oder von mir aus?

das leck haben wir dann mal notdürftig mit einem keil gestopft. unterwegs werden wir oft von motorbooten umkreist, die rainers gesamtkunstwerk bestaunen. alle wollen sie wissen wohin wir fahren. „bis ganz nach unten“ sagt rainer nur. nicht „schwarzes meer“. ganz nach unten. das ist das ziel: ganz nach unten.

die wachau ist vom wasser her auch wunderschön. man sieht, dass auf jedem fels, auf jedem hügel eine burg, ein schloss, eine ruine steht. gegenüber von dürnstein empfängt uns paul an einem sandstrand, ein freund von rainer, der uns hilft das zelt an bord aufzubauen. kinder springen um und auf das boot, überall staunen, andere formen, anderes leben ist möglich, keine engen kajüten, sondern fläche und ein großes zelt mit vorraum und zwei schlafzimmern, ein steuerstand, den man auch als sprungturm verwenden kann. den abend verbringen wir am landesteg des heurigen siedler in mauternbach hinter einer insel. der heurigenwirt dreht uns um zehn uhr das licht ab also trinken wir am boot weiter. und schon am ersten abend umfängt mich das glück, jeden tag mit dem wasser, den wellen, dem wind und der sonne verbunden zu sein, abends die sonne schimmernd funkelnd über dem wasser verschwinden zu sehen, bäume, die sich über das ufer neigen, unter uns konstantes fließen.

am nächsten morgen baden im fluss, weiter nach stein, frühstück im schicken hafenrestaurant mit „generic trash möbeln“ (copyright: bianca), am boot hilft uns ein freund von rainer beim anschließen bilgepumpe, die uns das kübeln erspart, wenn wieder was undicht sein sollte oder wellen in die zillen schwappen. das erste bier wird geöffnet. spätestens hier merke ich, dass alkohol und bootfahren eine enge verbindung miteinander eingehen, getrunken wird viel, anlässe gibt es genug. zum beispiel beim schleusen –  stichwort schleusenschnaps. vor der schleuse von altenwörth treffen wir drei junge motorbootfahrer mit tätowierung und dosenbier, die fragen, ob wir auch schleusenparty machen. schleusenparty? ja, sie hätten alle musik, die es gibt, „a pumperei, ballermann oder aprè-ski oder von mozart die sinfonie mit allen achzehn strophen“. schleusenparty heißt, das bootseigene soundsystem voll audrehen und die unglaubliche akkustik der riesigen schleusenkammer (16 meter hohe wände bei abgesenktem wasserspiegel) zu nutzen. so wird mein erstes schleusenerlebnis zu einem bizarren akkustischen gesamterlebnis. der höhepunkt ist, als am anderen ende das licht durch die sich öffnenden schleusentore fällt, während unsere freunde im boot vor uns ein cover von „I am sailing mit dem text „ich bin solo – ich bin solo – ich bin solo –  scheißegal“, hören.

 

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abends will ich in klosterneuburg meine familie, mutter, schwestern, schwager nichten, neffen auf dem boot empfangen, doch wir schaffen es aufgrund der erweiterungsarbeiten in stein nur bis muckerndorf wo wir bei einem gasthaus anlegen. die fahrt dahin geht durch spiegelglattes wasser, hinter uns geht die sonne unter. friede. an deck sitzen. boot steuern, wein trinken. schauen. denken.

am nächsten morgen schleusen wir rasch durch die schleuse bei greifenstein, meine schwester und ihre familie erwartet uns bei der rollfähre bei klosterneuburg mit einem frühstück. ich unternehme mein erstes anlegemanöver. pciknick am sandstrand, dann weiterfahrt nach wien. durch brücken vorbei an hochhäusern bis zur marina in wien. drei tage pause. ich muss noch letzte dinge erledigen, organisieren, bevor es endgültig losgeht. es ist seltsam. wieder zu hause, noch nicht aufgebrochen und doch schon unterwegs zu sein landkrank verbringe ich den ersten tag in wien, alles schwankt im rhythhmus der donau, gerade gehen fällt schwer. hitze in der stadt, ein abschlussfest am boot mit grillen, bootsführung, wachauer wein, staunen und glückwünsche für unsere reise.

 

 

 

 

 

Daran denken

In jedem Moment daran denken, dass es sich um einen Krieg handelt. Bei dem es gilt, Felder zu bearbeiten, Texte zu schreiben, Rhythmen zu finden, Ziele zu treffen.

 

Sich durch eine bewusste, planvolle Praxis

von seiner Teilnahmslosigkeit losmachen.

 

IN EINEM ZUNÄCHST INNEREN BRUCH MIT DER WELT bis zum Äußersten der Möglichkeiten gehen, die meine Situation enthält.

 

Die Waffen für einen unerbittlichen Kampf und offenen Schlagabtausch zu liefern und zwar

da, wo du dich gerade befindest.

 

Eine Theorie als Theater sehen. *

 

Zero People.

 

In der Garage X.

 

Ab 21. Mai.

 

www.garage-x.at

 

ZP Probe (14)

 

* Dieser Text ist eine vorläufige Abmachung.

Das Protokoll eines Experiments,

das unter Deserteuren seinen Anfang nimmt.