14/15/16/17/18/19. Juli
and finally romania. endlich, sag ich jetzt, nachdem ich rumänischen boden betreten habe (er schwankt, zum ersten mal wieder landkrank seit langem) und endlich weg aus bulgarischen kleinstädten. dass man sich da leicht eine depression anzüchten kann, merke ich auch erst, nachdem ich das gefahrengebiet verlassen habe. ruse muss man hier ausnehmen. ruse ist eine stadt wo wir so viel erlebt haben, dass die depression sich nicht breit machen konnte, wo wir von deutsch-bulgarischen kulturvermittlern freundlich und in geistreichen gesprächen aufgefangen wurden vor dem abtauchen in den bulgarischen weltschmerz. aber auch hier in ruse beginnt alles recht depressiv. ein freund von bulgarischen freunden aus wien empfängt uns am zweiten abend in der stadt: lacho, ein inhaber eines musikclubs, der allerdings nur am wochenende geöffnet hat. mit ihm ist ein anderer freund als übersetzer da, ein musiker, der in katar arbeitet und – wie sich bald herausstellt – eine anti-stimmungskanone. aus seinem mund kommen dieselben klagen wie überall, mit dem land gehe es bergab, alle parteien seien gleich, die leute ziehen alle weg, ruse hat immer weniger einwohner… aber bei ihm kommen die klagen ohne unterbrechung und in einem lamoyant-sarkastischen grundton. die restaurants würden alle zusperren, keiner brauche mehr musiker… am ende des abends liegt unsere stimung am boden, ich jedoch begehe den fatalen fehler, kontakt mit besoffenen am balkon tanzenden menschen aufzunehmen, die uns dann zu ihrer privatparty einladen. als wir ihre ein-zimmer-wohnung betreten, merken wir, dass alle völlig besoffen und noch sonst irgendwie dicht sind, zwischen uns springt ein ständig bellender kampfhund herum. und nach drei minuten ergießt sich wieder die bulgarische grundlamoyanz über wenig einkommen und arbeitslosigkeit über uns, verdünnt mit einem untrinkbaren rakia. wir ergreifen bald die flucht.
am nächsten tag aber vom ausland subventionierte hochkultur. rainer hat beste beziehungen in ruse, da er vor sieben jahren im canetti-haus eine von der elias-canetti-gesellschaft organisierte ausstellung mit seinem ersten boot gemacht hat. wir geben also einen kleinen empfang auf unserem boot, die presse kommt sowie penka angelova, die vorsitzende der canetti-gesellschaft und einige ihrer mitarbeiterinnen. wir trinken wachauer veltliner, abends machen wir mit der illustren runde eine kleine rundfahrt durch den hafen und die donau hinauf. alle sind entzückt von unserem fahrenden kulturgut.
untertags habe ich noch einen ausflug mit lacho und seinem reizenden sohn unternommen, der mit zwölf jahren als perfekter übersetzer fungiert. wir fahren zu der felskirche bei ivanovo im hinterland von ruse. die fahrt ist natürlich ganz im balkanischen stil, mit dem ich mich ja schon irgendwie angefreundet habe. warum man aber, während man mit der rechten telefoniert, mit der linken sich anschnallt, noch mit dem knie lenkend einen lkw in einer langgezogenen rechtskurve überholen muss, habe ich dann doch nicht mehr verstanden, und nachdem wir mit 140 sachen in die nächste kurve dieser holprigen landstraße gebraust sind, habe ich höflich um eine temporeduktion gebeten.
am vierten und letzten tage unseres aufenthalts in ruse treffe ich mich gemeinsam mit nina, die für der canetti gesellschaft arbeitet, mit ivan, einem vertreter der roma in ruse, und zwei weiteren roma zu einem gespräch. nina übersetzt. ich habe auf der ganzen reise, ob ungarn, serbien, bulgarien, stänidg nur klagen und vorurteile über roma von fast allen menschen gehört, mit denen ich gesprochen habe. jetzt will ich mal mit den roma selbst sprechen. nina übersetzt. nun höre ich die andere seite. die meisten roma sind nicht krankenversichert, da sie dafür einfach kein geld haben. eine großmutter von einem von ihnen erhält 100 lew rente (ca. 50 €), 90 davon muss sie für medikamente ausgeben. das größte problem ist die bildung. schulbildung können sich viele nicht leisten, da sie sich die schulbücher und was man sonst noch braucht, nicht leisten können. ohne bildung bleibt man aber von der gesellschaft ausgeschlossen. will man als rom einen job, wandern die bewerbungen meist in den papierkorb. in sofia aber auch in anderen städten lassen rechtspopulistische politiker die romalager räumen. es gebe doch ohnehin jetzt geld von der EU für die roma. sollen sie sich doch davon neuen wohnraum schaffen, sagen sie dann den medien. das problem ist, dass das geld für die roma die politiker abrufen müssen und wenn sie das machen, kommt es nie bei denen an, die es brauchen. wer es als rom geschafft hat, und reich ist, blickt mit noch mehr verachtung auf die armen roma hinab als alle anderen. solidarität gäbe es nicht. das alles erzählt er mir und will dann mit mir ins geschäft kommen. ich solle agrararbeitskräfte nach österreich vermitteln. ich erzähle ihm, dass ich theater mache und dafür nicht der geeigente partner bin. dann verlangt er 75 € für einen ausflug in eine romasiedlung. ich handle den betrag auf 30 hinunter. wir werden in das anscheinend allerärmste viertel der stadt gefahren, irgendwo hinter industrieruinen stehen kleine behausungen an erdstraßen. wir sollen auf unsere sachen aufpassen, sagt er noch, dann steigen wir aus, aus allen häusern/hütten kommen menschen auf uns zugeströmt, es wird laut herumgerufen, kinder betteln mich an, eine mutter will uns ihr baby zeigen, eine andere will mir auch lautstark irgendetwas existenzielles erklären, wir gehen zu ihr nach hause, sie hat unzählige kinder, einige wurden ihr schon von der fürsorge weggenommen, ihr mann ist gestorben. ivan fordert mich auf, die müllhalde zu fotografieren, die innenräume, „so leben die“ ich soll in ihre kochtöpfe fotografieren, wo nudeln in einer trüben brühe schwimmen, „das essen die“, er führt die bewohner vor wie in einem roma-volksmuseum für gelebte armut. dann zeigt er noch auf zwei männer mit schiefen gesichtern, die am straßenrand mit nackten oberkörpern dastehen. „roma“ ruft er, deutet auf sie und lacht sein breites roma-vertreter-grinsen und sein goldener eckzahn blitzt ihm aus dem mund, während seine bunte krawatte im wind weht.
danach laden wir ivan und seine kumpels noch auf unser boot ein. da ich am anfang unseres gesprächs gefragt habe, was eine roma-band für einen abend kostet, da ich mir denke, es wäre doch schön, ein kleines schwimmendes konzert zu organiseren, geht es in unserem gespräch vor allem nur noch darum, uns eine band zu vermitteln, und dabei immer wieder irgendwelche roma-lieder zu singen. doch die angbote sind alle zu teuer für mich und irgendwann habe ich genug, ständig irgendetwas auszuverhandeln. ivan wird nina an diesem abend noch vier mal wegen der band anrufen. es wird mir schlagartig klar, wie groß die mentalitätsunterschiede anscheinend zwischen der slawischen und der romakultur sind. von serben und bulgaren wurden wir ständig auf alles eingeladen, ivan seinerseits versteht wohl nicht, warum wir denn jetzt kein business mit ihm machen wollen. wie kann man diese welten zusammenbringen? ohne solidarität und chancengleichheit geht da gar nichts.
nach vier tagen ruse fahren wir weiter die bulgarisch-rumänische grenze entlang. die reise zieht sich, nach der fünften bulgarischen kleinstadt will ich einfach nur weiter. rainer will sich trotzdem zeit lassen. also sitzen wir vor allem in cafes und restaurants rum, starren ins internet oder ins glas, essen bulgarisches essen, besuchen in tutrakan eine volksmusik- und tanz-veranstaltung mit gruppen aus bulgarien, tschechien und mexiko (!). seit ruse ist lena, eine grafikerin mit an bord, die rainers bücher gestaltet. sie kann außerdem verschiedenste sprachen, dialekte und akzente imitieren, und so verbringen wir viel zeit damit, die ereignisse der reise auf british english, spanisch, mexikanisch, französisch, sächsich oder bayrisch – oder zumindest, was wir jeweils dafür halten – zu reflektieren. nachdem wir silistra, die letzte bulgarische stadt an der donau, verlassen haben, befahren wir den borcea-arm, einen seitenarm der donau, der sich anfangs schmal durch die landschaft schlängelt. und hier ist plötzlich alles anders. es gibt motorboote, strandbars, man fährt wie auf einer landstraße durch kleine dörfer, am ufer baden kühe, man sieht pferdefuhrwerke, möwenkolonien. soviele tiere überall. badenende zwischen müllhalden. alte fabriken. nach einer weiteren einmündung wird der seitenarm fast so breit wie die originale donau. wir legen bei einem restaurant an, mit swimingpool, springen ins wasser, trinken campari orange. romania finally. noch zirka drei tagesetappen bis zum donaudelta.
20/21/22/23. Juli
sisterboat and thunderstorm
jetzt sind wir in tulcea, der letzten stadt vom dem delta, nach einer frühmorgenfahrt über eine diesige donau erhebt sie sich plötzlich wie aus dem nichts auf einem hügel. unwirklich nach der stillen fahrt durch die auwälder. eine hafenstadt voller boote, viel wasserverkehr, und… touristen. und auf einmal können alle rumänen englisch!
die fischer. die haben wir am häufigsten gesehen die letzten tage. man denkt, ganz rumänien fischt. heute früh zum beispiel. wir haben gestern einem alten krankahn bei einem hotel festgemacht. ich wache auf, blicke aus dem zelt, ein fischer grinst mich an. ich will zum heck pissen, ein fischer schaut mich an. überall sitzen sie die ufer entlang in zelten, machen lagerfeuer, fischen. den ganzen tag. am ufer, auf booten. und trotzdem gibt es noch genug fische. während meiner drei „guten-morgen-welt-wo-bin-ich-und-und-wieso“-minuten, die ich aus dem zelt starre, zieht der fischer zwei fische aus dem wasser. wir hätten doch eine angel mitnehmen sollen.
die geschlossenen restaurants entlang der strecke – in unserem donauführer von 2007 sind sie alle noch geöffnet. der wurde vor der wirschaftskrise geschrieben. seitdem hat sich das kommerzielle leben an de donua radikal reduziert. das kann man verallgemeinernd durchaus sagen. nur fischen tun sie überall. und in tulcea scheint der delta-tourismus und die schilf-industrie auch ausreichend devisen zu bringen. hier ist so viel los in der stadt. anders in braila. eine schöne stadt 100 km vor dem delta, erinnert aber an verfallende ostdeutsche städte. selbst in der fussgängerzone im zentrum verfallen leerstehende prächtige altbauten.
rumänien liegt wirschaftlich am boden, wie die anderen staaten, die wir durchquert haben, das merkt man, doch es gibt im gegensatz zu bulgarien immer wieder inseln von innoavation und stil. es gibt bars oder geschäfte, die detailiert und liebevoll gestaltet sind. die menschen hier sind nicht so schüchtern und zurückhaltend wie die bulgaren. sie sind widersprüchlicher, entweder vollständig abweisend oder unglaublich hilfsbereit.
und hier in rumänien finden wir auch unser schwesternboot!!! zufällig!!! vielleicht das einzige boot in rumänien, das ähnlich konstruiert wurde, wie unser boot. nachdem wir vor drei tagen aufgrund der herannahenden dunkelheit in einer kleinen bucht an bäumen festgemacht, feuer gemacht haben, um die mosquitos zu vertreiben, und gekocht haben, brechen wir am nächsten morgen ohne lebensmittelvorräte auf, um nach braila zu fahren. bei einer, pumpstation, die wasser aus der doanu auf sonneblumenfelder pumpt, legen wir an, ich fahre mit einem jungen fischer in seinem alten dacia baujahr 89 zu einer tankstelle, um benzin zu holen, doch fürs frühstück für uns ist hier nichts zu holen. also suchen wir weiter, wollen hinter einem frachtschiff anlegen und sehen plötzlich vor uns ein boot mit wohnwagen darauf, ein katamaran aus schwimmkörpern, darüber eine holzplattform, aud der der wohnwagen steht und über dem wohnwagen ein weiteres holzdeck. die grudnkonstruktion besteht genauso wie bei uns aus alu-trassen. wir können es kaum glauben. wir kommen sofort mit daniel und iolanda, seiner frau ins gespräch, später kommt bob an, der konstrukteur des wohnwagenboots, er fällt fast um vor erstaunen, als er neben seinem unser boot liegen sieht. schließlich frühstücken wir gemeinsam mit unseren neuen gefährten: tomaten, oliven, schafskäse harte eier, bier, ein richtig leckeres rumänisches frühstück.
danach fahren wir zu zweit über die donau und einen nebenarm, eine kleine wohnboot-karawane. daniel hat noch ein speedboot mit 50 PS im schlepptau. wir legen an einem sandstrand an einem völlig einsamen nebenarm an und leben wie man lebt wenn man lebt. baden, plaundern, grillen, trinken, fischen, speedboot fahren durch den schmalen nebenarm und einmal über die donau. 50 sachen knapp über der wasseroberfläche. danach, bevor bob zu betrunken ist, setzt er uns in ein minischlauchboot, hängt es ans speedboot an und rast mit uns durch die auwälder, schleudert uns über die wasseroberfläche, man kann nur lachen, adrenalin pur, man vergisst sich zu fürchten. abends ballern wir nach dem essen mit der luftdruckpistole herum, und reden, reden. es gibt nichts schöneres auf der reise als wenn man geschwister im geiste trifft. nachts liegen wir am dach seines bootes und blicken in den unendlich tiefen und klaren sternenhimmel. eine sternschnuppe mit langem schweif zieht über uns hinweg.
am nächsten tag fahren wir dann tatsächlich nach braila und gestern geht es weiter richtung tulcea, das wir nicht erreichen, da eine gewtterfront naht. wir machen genau zum richtigen zeitpunkt am ufer in der nähe von fischern (!) fest, als auch schon losgeht, mit einem gewitter das zwei stunden über und um uns tobt. draußen ist die donau nur ein graues wellenmeer, drinnen sitzen wir in unserem zelt, verscuchen zu lesen, blicken immer wieder hinaus, ob das boot nicht weggerissen wird, rainer wagt sich hinaus, um weitere leine festmachen und um die zillen auzupumpen, die schon halbvoll ist. danach grollt es noch eine stunde nach. irgendwann abends brechen wir auf und fahren durch reine luft unter grauem himmel in den abend hinein. hinter uns zeigen blutrote wolken den sonnenuntergang an.
noch siebzig kilometer bis zum schwarzen meer.