logblog – donaufahrt von melk ans schwarze – meer pt. I: melk-wien

den ewigen stausee von gabcikovo nutzend beginne ich meinen logblog. rainer fährt nah an der seitenmauer, um die kichtürme, die unterhalb von uns liegen, zu fotografieren. dörfer unter der wasseroberfläche aber trotzdem trocken. wir durchqueren eine unwirkliche welt. die staumauer ist so hoch, dass sich die wasseroberfläche auf kirchturmspitzenniveau befindet. man blickt vom wasser hinunter ins land. hier am damm zu wohnen ist  sicher ein eigenartiger lebenszustand, der einen wohl albträume bereitet. wassermassen, nahe, aufgetürmt, bedrohlich. genauso fremd, unwirklich, diese gegend, man blickt hinab in leuchtende felder, sieht dörfer, straßen, aber menschenleer. enfernt hinter der mauer. verborgen hinter glas. man sieht und hört kein leben. hört nur sich selbst. wellen, den motor. menschenleere —-

 

 

funkstille, strom aus. die stromversorgung an deck war noch nicht installiert und mein notebook leer. und schon wieder ein tag vergangen. kühle abendfahrt, arbeitsstunde. endlich schreiben, carola lädt fotos hoch, rainer wieder am steuerstand. das erste glas weißwein. man denkt man hat soviel zeit am wasser aber man bedenkt nicht, dass man auch soviel zeit braucht. zuerst mal um einfach zu schauen. zu hören. nichts tun. und dann ist ja auch  immer etwas zu tun auf so einem boot wie bei einem haus mit garten. aufräumen. deck kehren. wasser schöpfen, wasser pumpen. steuern, loten, anlegen, ablegen, leinen versorgen, zelt aufräumen, boot umbauen, weiterbauen – die stromversorgung funktioniert jetzt. also nochmals aber diesmal von ganz von vorne —

 

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8/9/10/11. Juni

 

fast dreihundert kilometer sind wir schon unterwegs, doch niemals hatte ich das gefühl, von wo aufgebrochen zu sein, verreist zu sein, man ist einfach immer da wo man ist, da ja der fluss auch immer nur da ist wo er ist. oder besser gesagt, er ist immer überall gleichzeitig. donauwasser ist donauwasser und unser boot ist unser boot. so gesehen zieht die welt an uns vorbei, wir bleiben. das wasser der wind, die sonne, der wellenschlag, das motorengeräusch.

nach kurzer nacht lande ich in wien am flughafen, packe in meiner wiener wohnung noch die letzten sachen in meinen koffer und fahre gleich weiter nach melk, wo rainer prohaska zwei wochen lang an einer marina unterhalb des stiftes das boot, die ms cargo zusammengebaut hat, nach monaten vorbereitungszeit, ein kunstprojekt. einmal hat er so etwas schon gemacht mit einem ähnlich konstruierten boot, jedoch fuhr er damals nur bis nach ruse in bulgarien. diesmal wollen wir bis ans schwarze meer. kilometer zero der donau. das boot wird von spanngurten zusammen gehalten. es ist eine art trimaran. eine plattform ist auf drei zillen angebracht, in der mitte eine neun meter lange motorzille mit einem 30 PS außenboarder, seitlich zwei kürzere zillen, an der hinterseite ein drei meter hoher steuerstand. die erste etappe von melk nach wien unternehmen rainer und ich zu viert mit julia und bianca. außer der jungfernfahrt mit dem behördenmenschen für die erstellung des typenscheins sind wir noch nie mit der MS CARGO gefahren. zuerst testen wir ob wir gut flussaufwärts vorankommen, was essentiell ist für jede art von manöver. dann geht es die wachau hinunter. nach den ersten paar kilometern merke ich, dass eine zille leckt und ziemlich viel wasser eintritt. ich stürze zum kübel und beginne zu kübeln. blicke zu rainer. er scheint nicht besonders beunruhigt zu sein. ich frage rainer, was denn zu tun sei. „erstmals nichts“ sagt er und so küble ich mal weiter das wasser aus der zille. dieses „erstmal nichts“ wird zu einer der grundregeln auf unserer fahrt. da am wasser prinzipiell alles langsamer geht und zeitverzögert passiert, ist, erstmal nichts zu tun, meistens das beste. ein großes schiff kommt auf dich zu, tue erstmal nichts, kurz darauf weißt du auf welcher seite du ausweichen musst. du lenkst das boot nach links oder rechts und es passiert nichts? tue erstmals nichts, denn zehn sekunden später wird es reagieren, wenn alles langsamer ist, muss man also immer vorausdenken, immer das machen, was dann in naher zukunft passieren wird. man tut also nichts, denkt aber gleichzeitig voraus. ein widerspruch aber eigentlich nur eine sache der perspektive. denke ich vom wasser her oder von mir aus?

das leck haben wir dann mal notdürftig mit einem keil gestopft. unterwegs werden wir oft von motorbooten umkreist, die rainers gesamtkunstwerk bestaunen. alle wollen sie wissen wohin wir fahren. „bis ganz nach unten“ sagt rainer nur. nicht „schwarzes meer“. ganz nach unten. das ist das ziel: ganz nach unten.

die wachau ist vom wasser her auch wunderschön. man sieht, dass auf jedem fels, auf jedem hügel eine burg, ein schloss, eine ruine steht. gegenüber von dürnstein empfängt uns paul an einem sandstrand, ein freund von rainer, der uns hilft das zelt an bord aufzubauen. kinder springen um und auf das boot, überall staunen, andere formen, anderes leben ist möglich, keine engen kajüten, sondern fläche und ein großes zelt mit vorraum und zwei schlafzimmern, ein steuerstand, den man auch als sprungturm verwenden kann. den abend verbringen wir am landesteg des heurigen siedler in mauternbach hinter einer insel. der heurigenwirt dreht uns um zehn uhr das licht ab also trinken wir am boot weiter. und schon am ersten abend umfängt mich das glück, jeden tag mit dem wasser, den wellen, dem wind und der sonne verbunden zu sein, abends die sonne schimmernd funkelnd über dem wasser verschwinden zu sehen, bäume, die sich über das ufer neigen, unter uns konstantes fließen.

am nächsten morgen baden im fluss, weiter nach stein, frühstück im schicken hafenrestaurant mit „generic trash möbeln“ (copyright: bianca), am boot hilft uns ein freund von rainer beim anschließen bilgepumpe, die uns das kübeln erspart, wenn wieder was undicht sein sollte oder wellen in die zillen schwappen. das erste bier wird geöffnet. spätestens hier merke ich, dass alkohol und bootfahren eine enge verbindung miteinander eingehen, getrunken wird viel, anlässe gibt es genug. zum beispiel beim schleusen –  stichwort schleusenschnaps. vor der schleuse von altenwörth treffen wir drei junge motorbootfahrer mit tätowierung und dosenbier, die fragen, ob wir auch schleusenparty machen. schleusenparty? ja, sie hätten alle musik, die es gibt, „a pumperei, ballermann oder aprè-ski oder von mozart die sinfonie mit allen achzehn strophen“. schleusenparty heißt, das bootseigene soundsystem voll audrehen und die unglaubliche akkustik der riesigen schleusenkammer (16 meter hohe wände bei abgesenktem wasserspiegel) zu nutzen. so wird mein erstes schleusenerlebnis zu einem bizarren akkustischen gesamterlebnis. der höhepunkt ist, als am anderen ende das licht durch die sich öffnenden schleusentore fällt, während unsere freunde im boot vor uns ein cover von „I am sailing mit dem text „ich bin solo – ich bin solo – ich bin solo –  scheißegal“, hören.

 

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abends will ich in klosterneuburg meine familie, mutter, schwestern, schwager nichten, neffen auf dem boot empfangen, doch wir schaffen es aufgrund der erweiterungsarbeiten in stein nur bis muckerndorf wo wir bei einem gasthaus anlegen. die fahrt dahin geht durch spiegelglattes wasser, hinter uns geht die sonne unter. friede. an deck sitzen. boot steuern, wein trinken. schauen. denken.

am nächsten morgen schleusen wir rasch durch die schleuse bei greifenstein, meine schwester und ihre familie erwartet uns bei der rollfähre bei klosterneuburg mit einem frühstück. ich unternehme mein erstes anlegemanöver. pciknick am sandstrand, dann weiterfahrt nach wien. durch brücken vorbei an hochhäusern bis zur marina in wien. drei tage pause. ich muss noch letzte dinge erledigen, organisieren, bevor es endgültig losgeht. es ist seltsam. wieder zu hause, noch nicht aufgebrochen und doch schon unterwegs zu sein landkrank verbringe ich den ersten tag in wien, alles schwankt im rhythhmus der donau, gerade gehen fällt schwer. hitze in der stadt, ein abschlussfest am boot mit grillen, bootsführung, wachauer wein, staunen und glückwünsche für unsere reise.